4.5 Das Leben in der Siedlung 
       Das 
        Leben in der Siedlung war trotz der eigentlich günstigen Bedingungen nicht 
        beneidenswert. (73) Die meisten Siedler waren einfache Arbeiter und hatten 
        zwischen zwei und vier Kinder (74). Es standen ihnen einerseits relativ 
        große Gärten zur Verfügung, in denen sie Obst und Gemüse anbauen konnten. 
        Weiterhin hatten sie einen Stall, in dem sie Ziegen, Hasen, Gänse, Enten 
        und Hühner hielten. Sie waren also durchaus in der Lage, sich weitgehend 
        selbst zu versorgen. Andererseits war die Siedlung nicht an das Kanalisationssystem 
        angeschlossen, und das Schmutzwasser wurde einfach in einen Graben vor 
        dem Gartentor geschüttet. Fließendes Wasser gab es nur in der Küche. Der 
        Strom war bis ins Erdgeschoß verlegt worden und konnte nur durch einen 
        Münzautomaten für Groschen genutzt werden. So konnte es durchaus passieren, 
        daß man sich, wenn man in der Nacht nach Hause kam und kein Kleingeld 
        mehr hatte, im Dunkeln ausziehen und ins Bett gehen mußte. In die Stadt 
        führten nur Feldwege oder Schotterstraßen, und die Entfernung war ziemlich 
        groß. Da die Siedler aus ärmeren Verhältnissen kamen, hatten sie im Normalfall 
        kein Auto und mußten die Strecke entweder mit dem Fahrrad oder zu Fuß 
        zurücklegen. Vor allem für die Frauen war dies ein großer Nachteil, da 
        sie zum Einkaufen rund zwei Kilometer meist zu Fuß laufen mußten. Auch 
        die Kinder hatten teilweise unter diesen Bedingungen zu leiden. Sie mußten 
        jeden Morgen den weiten Weg bis zur Grundschule in der Kronacher Straße 
        zurücklegen und waren auch noch, da die Siedler als Selbstversorger galten, 
        von der Schulspeisung ausgeschlossen. Doch trotz oder auch gerade wegen 
        dieser Nachteile entwickelten die Siedler schon bald ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl 
        untereinander. Sie gründeten einen Siedlerbund, der, wie in anderen Siedlungen 
        auch, automatisch der DAF angeschlossen wurde. Die Zielsetzung der Nationalsozialisten, 
        dieses Gemeinschaftsgefühl in eine Identifikation mit der "Volksgemeinschaft" 
        zu überführen, war aber wohl weitgehend eine Wunschvorstellung.  
      Der Gründer und Leiter des Lichtenfelser Siedlerbundes -Becker war der 
        heimliche Bürgermeister der Siedlung. Er besorgte für die Siedler Gartenwerkzeuge, 
        Düngemittel und ähnliches in größeren Mengen und stellte es so billiger, 
        als es anderswo zu haben war, zur Verfügung. Zu ihm gingen die Siedler, 
        wenn sie Probleme hatten.  
      Bei den Lichtenfelsern hatten die Bewohner am Klentsch allerdings oft 
        einen schlechten Ruf. Wenn etwas angestellt worden war, hieß es gleich: 
        "Ach, bestimmt wieder ein Siedler". Diese ungerechten Diffamierungen dürften 
        wohl mit zum Zusammengehörigkeitsgefühl der Betroffenen beigetragen haben. 
        Allen Problemen zum Trotz setzte sich die Siedlung bald als eigenständiger 
        Teil von Lichtenfels durch. Vor allem in den Kriegsjahren wurden die Siedler 
        um ihre Gärten und Tiere beneidet.  
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