Beilagen
Titel
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1. Ursprung
2. Weimar
3. NS-System
4 Lichtenfels
4.1 Planung
4.2 Siedler
4.3 Kosten
4.4 Siedlerstelle
4.5 Leben
4.6 heute
Schluss
Quellen
Materialien

1. DER URSPRUNG DES SIEDLUNGSGEDANKENS

Die Idee der modernen Siedlung hat ihre Wurzeln hauptsächlich im England des 19. Jahrhunderts. Dort setzte ab circa 1740 ein starkes Bevölkerungswachstum ein, das zusammen mit der Agrarrevolution, in deren Folge das freie Bauerntum weitgehend beseitigt wurde, eine breite Binnenwanderung der bäuerlichen Bevölkerung in die Industriestädte auslöste, die Arbeitsplätze und Brot versprachen. So kam es bereits nach kurzer Zeit zu einem explosionsartigen Wachstum der Industriereviere. Es bildeten sich rasch riesige Armenviertel (Slums). Die meisten Bewohner dieser Armenviertel waren zeitweilig arbeitslos oder arbeiteten für einen Lohn, der unter dem F-xistenzminimum lag, in einer der zahlreichen Fabriken. Sie lebten unter menschenunwürdigen Bedingungen. Es kam zu großen Hungersnöten unter der armen Bevölkerung und einer immer schlimmeren Wohnungsnot.

Um diese erwähnten Mißstände zu beheben, gab es am Ende des 19. Jahrhunderts unterschiedliche Lösungsvorschläge. (3) So verlegten z. B. einige Industrielle (Salt, Cadbury, Lever) ihre Fabriken auf das Land und nahmen ihre Arbeiter mit. Ein anderer Vorschlag kam von Ebenezer Howard. Er sah die Stadt als einen Magneten, zu dem man einen Gegenpol schaffen müsse. Diesen Gegenpol sah er auf dem Land. Er entwickelte das Modell der Gartenstadt, in der er die Vorteile der Stadt mit denen des Landes verknüpfen wollte. In seinem 1889 erschienenen Werk "Garden Cities of Tomorrow" beschreibt er diese Idee und stellt ein Reformprogramm für die Industriestädte auf.

In Deutschland wurde schon zwei Jahre vorher eine Abhandlung von Theodor Fritsch - "Die Stadt der Zukunft" - veröffentlicht. (4) Sie enthält den Vorschlag für ein Stadtmodell, das viele Ähnlichkeiten mit Howards Gartenstadtmodell aufweist. Die gemeinsame Idee lag darin, Gartenstädte um eine Mittelstadt anzulegen. Diese sollten aber nicht wie Vorstädte Zulieferer der Großstadt sein, sondern eigenständige, lebensfähige Gebilde werden. Privater Grundbesitz wurde abgelehnt. "Die Besiedlung soll nach einem festen Schema vorgenommen werden, in dem jeder Bevölkerungsschicht ein spezifischer - Platz zugewiesen wird." (5)

Howards Interesse bei der Verteilung des Grundbesitzes galt vor allem der wohnlichen Unterbringung des Proletariats. Er hoffte, dadurch die wachsende Unzufriedenheit im Volk abzuschwächen. Solche Überlegungen lagen Fritsch fern. Er plante eine Einteilung der Stadt, die dem sozialen Gefälle entsprechend von innen nach außen geordnet sein sollte. (a) Bei allen weiteren Reformvorschlägen, die um die Jahrhundertwende gemacht wurden, standen die Gedanken von Howard und Fritsch im Mittelpunkt.

Anfang des 20. Jahrhunderts war die gesellschaftliche Problemsituation durch "die Auswüchse der Bodenspekulation, die allgemeine Verelendung der unteren Schichten, die Resonanz der Stadtreformer - auch bei der organisierten Arbeiterschaft- und die Unmutsäußerungen der bürgerlichen Mittelschicht" (6) so groß, daß sich auch der Staat gezwungen sah, Wohnungspolitik zu betreiben. In seiner Funktion als Arbeitgeber stellte er Miet- oder Dienstwohnungen für Beamte und Staatsangestellte (Eisenbahn, Post, Heer) zur Verfügung. Wohnungspolitisch entwickelte er ein wachsendes Interesse an Industriearbeitersiedlungen. Er wollte dafür soviel Land zur Verfügung stellen, daß sich die Arbeiter mit landwirtschaftlichen Produkten selbst versorgen konnten. Dies führte schließlich zum Siedlungsgesetz von 1910, das "mit gleichen Mitteln 'Verbindung des Menschen mit dem Boden' - einer weiteren Verstädterung entgegenzuwirken" (7) versuchte. Im Gefolge dieses Gesetzes wurden neue Siedlungen gegründet, die in den Grundzügen, also in Anlage und Gestaltung, den Gartenstadtideen entsprachen. Durch den 1. Weltkrieg wurde die staatliche Wohnungsbaupolitik unterbrochen, danach aber wieder aufgenommen.



Anmerkungen

(3) vgl. Howard, 1986, Vorwort
(4) vgl. Peltz/Dreckmann, 1978, S. 44 ff.
(5) Peltz/Dreckmann, 1978, S. 45
(6) ebd. S. 54
(7) ebd. S. 55