BEILAGEN

 

Titelblatt

Inhalt

Vorwort

Einleitung

1500

1600

1700

1800

1900

 

Abbil-
dungen

Wiesen

Weismain

Kloster
Langheim

Kloster
Banz

Staffelstein

 

 GÜNTER DIPPOLD

Das Land am Obermain im Prisma von Jahrhundertwenden

Staffelstein erregte um die Jahreswende 1999/2000 die Aufmerksamkeit der Medien. Öffentlich-rechtliche wie private Sender berichteten, dazu Tageszeitungen von Bild bis TAZ, wöchentlich erscheinende Magazine von der Zeit bis zur Frau im Spiegel. Staffelstein verweigerte sich dem Millenniumstrubel, indem Vertreter der Stadt darauf verwiesen, dass das neue Jahrhundert und Jahrtausend nicht mit dem 1. Januar 2000 beginne, sondern erst ein Jahr später – eine Tatsache, die in der örtlichen Presse daraufhin ausgiebig mittels Leserbriefen diskutiert wurde.

Die Adam-Riese-Stadt berief sich überdies auf eine – freilich bisher nicht zu bestätigende – Tradition, derzufolge sie sich schon hundert Jahre zuvor nicht an den Jahrhundertwende-Feierlichkeiten beteiligt habe, die der Bundesrat, die Vertretung der deutschen Fürsten, auf den 1. Januar 1900 festgelegt hatte. Schon damals war der rechte Termin heftig diskutiert worden; die von Kaiser Wilhelm II. herbeigeführte Entscheidung für 1900 hatte ein Rauschen im Blätterwald hervorgerufen, und Bayern hatte sich reserviert verhalten.

Doch der Streit darüber, wann ein Jahrhundert beginne, reicht noch weiter zurück. Liselotte von der Pfalz berichtete im Januar 1699 ihrer Tante, es gebe am französischen Hof einen Disput, vom König bis hin zu den Lakaien, wann das neue Jahrhundert beginnen werde: 1700 oder 1701. „Wo Man geht und stehet jetzt hört man nichts alß disputtiren“ [1] .

Den früheren Jahrhundertwenden freilich wurde eine solche Aufmerksamkeit nicht zuteil. Denn das Jahrhundert als Gliederungseinheit für Geschichte war erst im 16. Jahrhundert „entdeckt“ worden und im folgenden Jahrhundert ins allgemeine Bewusstsein gerückt [2] . Von der um 1520 entstandenen Mainzer Kirchengeschichte eines Benediktiners abgesehen, waren die so genannten „Magdeburger Centurionen“ (gedruckt 1559ff.) des evangelischen Theologen Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) die erste Historiographie, die Vergangenheit – in diesem Fall die Geschichte der Kirche – in Jahrhunderte einteilte. Schulwerke verbreiteten diese Praxis, so ein Lehrbuch des Lüneburger Geistlichen Johannes Buno aus dem Jahr 1672 und ein 1697 in Nürnberg herausgekommenes Geschichtsbuch für Kinder. Buno charakterisierte alle Jahrhunderte durch ein Bild, und die Verfasser des Nürnberger Werks verliehen ihnen Beinamen. Dadurch wurde das Jahrhundert von einer reinen Hilfseinheit zu einer selbständigen Größe; es erschien seither als eigenständige Epoche, die sich von der vorangegangenen und der folgenden ihrem Wesen nach unterschied. Die Jahrhundertwende wurde zur Epochenscheide.

Erste Belege für die Betonung einer Jahrhundertwende liegen aus dem Jahr 1500 vor: Der in Wipfeld bei Schweinfurt geborene, in Wien lehrende Humanist Konrad Celtis widmete dem Wechsel vom 15. zum 16. Jahrhundert zwar ein „carmen seculare“, doch sind diese Verse ein Einzelfall, gründend im Rückgriff auf die römischen Säkularfeiern, die allerdings nach einer Zeitspanne von 110 Jahren begangen wurden [3] . 1600 fügten zwar mehrere Autoren, zumeist Protestanten, in gut humanistischer Manier kunstvolle „carmina saecularia“ im Stile des Horaz [4] , doch waren diese Werke Randerscheinungen. Im wesentlichen ist dem Urteil von Paul Münch beizupflichten: „Als im Jahre 1601 ein neues Jahrhundert begann, geschah dies unbemerkt. Niemand sprach dem Säkularwechsel epochale Qualitäten zu. Ein Jahrhundert später hatte sich die Situation gewandelt. Im Jahre 1700 resümierte man mancherorts bereits den Ertrag des abgelaufenen Säkulums: die politischen Ereignisse, die Kriege, das Wachstum der Wissenschaften. In den Krisen des 17. Jahrhunderts war das Jahrhundert selbst zur epochalen Größe geworden“ [5] .

Mittelalterliche Jahrhundertwenden wurden offenbar nicht als etwas Besonderes wahrgenommen. Die Panik, die populären Vorstellungen zufolge am Beginn des Jahres 1000 geherrscht haben soll, gehört in das Reich der Fabel [ 6] , wenn diese Mär auch, wie so viele Geschichtsirrtümer, nicht auszurotten ist. Dass das erste Heilige Jahr auf 1300 fiel [7] , hing nicht mit der runden Zahl oder dem Beginn eines neuen Jahrhunderts zusammen.

Jahrhundertwenden als Orte des Rückblicks auf das zurückliegende Säkulum, als Gelegenheiten, Bilanz zu ziehen, als Anlässe, Hoffnungen oder Befürchtungen auszusprechen, sind eine Erscheinung der Neuzeit. Dazu passend, soll die Entwicklung unserer Heimat am Obermain zwischen ausgehendem Mittelalter und anbrechendem 20. Jahrhunderts anhand von fünf Essays über die Jahrhundertwenden nachgezeichnet werden.

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Abkürzungen

AEB    Archiv des Erzbistums Bamberg

BHVB Bericht des Historischen Vereins Bamberg

StAB   Staatsarchiv Bamberg

 

Anmerkungen:

[1]        Zit. nach Holzhausen, Paul: Der Urgroßväter Jahrhundertfeier. Eine literatur- und kulturhistorische Studie. Leipzig 1901, S. 12.

[2]        Grundlegend hierzu Burkhardt, Johannes: Die Entstehung der modernen Jahrhundertrechnung. Ursprung und Ausbildung einer historiographischen Technik von Flacius bis Ranke. Göppingen 1971 (Göppinger akademische Beiträge 43).

[3]        Brendecke, Arndt: Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung. Frankfurt a. Main / New York 1999, S. 72f.

[4]        Ebd., S. 105–109.

[5]        Münch, Paul: 1600. Ordnungen im Umbruch – Angst und Vernunft. In: Gall, Lothar (Hrsg.): Das Jahrtausend im Spiegel der Jahrhundertwenden. Berlin 1999, S. 241–284, hier S. 283.

[6]        Freund, Stephan: Das Jahr 1000. Ende der Welt oder Beginn eines neuen Zeitalters. In: Bünz, Enno / Gries, Rainer / Möller, Frank (Hrsg.): Der Tag X in der Geschichte. Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend Jahren. Stuttgart 1997, S. 24–49; Görich, Knut: Das Jahr 999 und die Angst vor der Jahrtausendwende. In: Halter, Ernst / Müller, Martin: Der Weltuntergang. Mit einem Lesebuch. Zürich 1999, S. 31–40.

[7]        Bünz, Enno: Das Jahr 1300. Papst Bonifaz VIII., die Christenheit und das erste Jubeljahr. In: ders. / Gries / Möller (wie Anm. 6), S. 50–78.