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      1600:
      Konfessioneller Kampf und humanistische Gelehrsamkeit
      
       
      Ein Bewohner von Schney, der sich am 22. Dezember 1599
      auf dem Weg nach Lichtenfels gemacht hätte, wäre in der eine knappe
      Wegstunde entfernten Stadt am Neujahrstag des Jahres 1600 eingetroffen.
      Denn im bambergischen Lichtenfels galt nicht derselbe Kalender wie im
      ritterschaftlichen Schney.
      
       
      1582 hatte Papst Gregor XIII. nach jahrelangen
      Vorbereitungen eine Kalenderreform verkündet, die nötig geworden war,
      weil der Julianische Kalender nicht mit dem astronomischen Jahr
      übereinstimmte. Im Laufe der Zeit hatte sich die Differenz auf zehn Tage
      aufsummiert. Deshalb verfügte Gregor XIII., dass auf den 4. der 15.
      Oktober 1582 folge. In Bamberg führte Bischof Ernst von Mengersdorf (reg.
      1583–1591) den reformierten Kalender im November 1583 ein
      [60]
      .
      
       
      Die evangelischen Fürsten und Herren lehnten die neue
      Zeitrechnung ab, kam sie doch aus Rom. Daher gab es für mehr als ein
      Jahrhundert, bis zum Jahr 1700, zwei Kalender in Deutschland: den alten,
      an dem die Protestanten festhielten, und den neuen, der davon um zehn Tage
      abwich. Gerade in konfessionell gemischten Gebieten wie Franken machte der
      Kalenderstreit
      [61]
      
      die Unterschiede deutlich, feierten die Protestanten doch die Hochfeste
      nicht am selben Tag wie die Katholiken.
      
       
      Die konfessionellen Gegensätze hatten sich um 1600
      zugespitzt
      [62]
      .
      Die reformatorische Bewegung hatte um 1520 die Menschen am Obermain
      erfasst; die Masse wandte sich vom Katholizismus ab. Auch wenn der Elan
      der neuen Lehre nach wenigen Jahren verebbte, so gelang es doch der alten
      Kirche nicht, die Gläubigen zurückzugewinnen. 1552/53 okkupierte
      Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach einen erheblichen
      Teil des Hochstifts Bamberg, darunter Niesten, Burgkunstadt und später
      auch Lichtenfels, und setzte hier evangelische Geistliche ein, falls die
      amtierenden Pfarrer und Kapläne nicht ohnehin bereit waren, den
      markgräflichen Priestereid zu schwören, der sie auf die Augsburger
      Konfession verpflichtete. Auch wenn die Mehrzahl der evangelischen
      Geistlichen 1553/54 nach der militärischen Niederlage Albrechts
      vertrieben wurde – in den langheimischen Pfarreien Isling, Modschiedel,
      Altenkunstadt und Kirchlein sowie in den Pfarreien rechts des Mains
      konnten sie sich halten –, so belebte ihr Wirken doch das Gemeindeleben
      lutherischer Prägung.
      
       
      Bis in die 1590er Jahre waren konfessionelle Gegensätze
      im Alltag wenig von Belang, zumal auch die fürstbischöflichen Beamten,
      bis in die Spitze des Hochstifts hinein, sich großteils zum evangelischen
      Glauben bekannten; Entsprechendes galt für die Klöster Banz und
      Langheim.
      
       
      Als erster Reichsfürst wandte der Würzburger Oberhirte
      Julius Echter von Mespelbrunn (reg. 1573–1617) von 1585 an das ius
      reformandi an, das der Augsburger Religionsfrieden den Herrschenden
      zugestand: Er stellte seine evangelischen Untertanen vor die Wahl,
      katholisch zu werden oder das Land zu verlassen. Darüber hinaus drängte
      er seinen jeweiligen Bamberger Amtsbruder, es ihm gleich zu tun.
      
       
      Doch die Bamberger Fürstbischöfe verhielten sich lange
      Zeit reserviert. Ernst von Mengersdorf (reg. 1583–1591) bemühte sich
      zwar in seiner Eigenschaft als Landesherr, vom kirchlich zuständigen
      Würzburger Bischof immer wieder ermahnt, die evangelischen Pfarrer in
      Döringstadt, Altenbanz, Marktzeuln und Marktgraitz abzusetzen; Erfolg
      hatte er allerdings nur in Altenbanz. In den übrigen Orten weigerten sich
      die Gemeinden, die Kirchentür zu öffnen und den ihnen vorgestellten
      katholischen Seelsorger anzunehmen. Gewaltsam einzugreifen, lehnte Ernst
      von Mengersdorf jedoch ab, um die evangelischen Nachbarfürsten nicht zu
      provozieren.
      
       
      Erst Fürstbischof Neithard von Thüngen (reg. 1591–1598)
      gab dem Drängen Echters nach, brauchte er doch dessen Wohlwollen. Denn
      Thüngen wollte seine einträglichste Pfründe, die Würzburger
      Dompropstei, behalten, die er als Bischof eigentlich hätte resignieren
      müssen; überdies gab sein Lebenswandel zu Bedenken Anlass. So schwenkte
      er auf die Linie Echters ein.
      
       
      Offenbar bewegte er
      die Äbte von Banz, Langheim und Michelsberg, zunächst ihre Hintersassen
      vor die Wahl zwischen Annahme des katholischen Bekenntnisses und
      Emigration zu stellen. Als sich erwies, dass ein – immer wieder
      befürchteter – flächendeckender Aufstand nicht ausbrach, begann auch
      der Fürstbischof, dieses Verfahren anzuwenden. 
      Die von Ort zu Ort unterschiedliche Reaktion der
      Untertanen schilderte der Scheßlitzer Schuster Hans Zeis in seinem
      Hausbuch so: „Haben sich ir viel bekert zum cotolischen Glauben [...].
      Aber Steinach, Cronach und Zeuln haben sich greulich gewerd, die jenigen,
      so inn meins gnedigen Herrn von Bambergs Namen da hin gesandt worden,
      veracht, sie nit inn die Kirchen lassen wöllen, sonder mit wehrenter Hand
      angreifen wöllen, also das sie mit Schandt und Spot abzihen müssen,
      jdoch lezlich abfallen müssen oder aus meins Herrn Landt zihen müssen.
      Zu Staffelstein die haben sich auch mit gewerten Handt zusamen verfügt,
      uf die Gesanten auch nichts geben wöllen, haben denich gemüst oder aus
      der Stat gemüst.“
      [63]
      
      
       
      In den meisten Orten hatte die Gegenreformation rasch
      Erfolg. Nach einigen Monaten konvertierte die Mehrzahl der Protestanten
      zum katholischen Glauben; eine Minderheit entschied sich für die
      Auswanderung. Diese Exulanten übersiedelten in benachbarte evangelische
      Städte wie Coburg, Kulmbach oder Königsberg, einzelne auch in die
      Reichsstädte (Bad) Windsheim und Schweinfurt, die meisten aber in
      ritterschaftliche Dörfer. In Schney ließen die Herren von Schaumberg
      eigens eine Siedlung für die Zuziehenden errichten, längs der heutigen
      Friedrich-Ebert-Straße.
      
       
      Als besonders widerspenstig erwiesen sich die Frauen. Er
      habe einer jeden eine eigene Predigt halten müssen, stöhnte der
      Lichtenfelser Pfarrer Michael Lang; mit tausend Männern komme er leichter
      zurecht als mit hundert Frauen.
      
       
      Seine Politik setzte Neithard von Thüngen durch, mochte
      das Domkapitel auch Bedenken tragen oder vehement protestieren. Nach
      seinem Tod aber wählten die Domherren 1599 seinen profiliertesten
      Gegenspieler, den Domdekan Johann Philipp von Gebsattel, zu seinem
      Nachfolger. Die evangelischen Untertanen freuten sich über diese
      Entscheidung, wussten sie doch, dass Gebsattel Thüngens Vorgehen
      abgelehnt hatte. Sie hätten, sagte ein Teuschnitzer Ratsherr bald nach
      der Bischofswahl zum Ortspfarrer, einen Herren bekommen, „welcher der
      luterischen Religion geneigt“; er werde die Gegenreformation beenden
      [64]
      .
      Trotz mancher Anzeichen für eine Neuorientierung der bischöflichen
      Politik vollzog Gebsattel keinen abrupten Kurswechsel. So beauftragte er
      1600 seinen Weihbischof und den Domprediger, sich in den Pfarreien des
      Hochstifts nach Personen zu erkundigen, die noch nicht katholisch geworden
      oder nach ihrer Konversion wieder abgefallen seien, und befahl, streng
      gegen sie vorzugehen.
      
       
      Im Juli 1600 ließ er zum Beispiel den Einwohnern von
      Lettenreuth befehlen, innerhalb von vier Wochen katholisch zu werden oder
      fortzuziehen. Die Untertanen freilich versetzten – wohl um den Bischof
      hinzuhalten –, sie könnten die katholische Religion nicht annehmen. Sie
      seien „derselben gantz unberichtet undt [könnten] nicht wiessen, was
      dieselbige in sich helt“. Der Bischof solle zuerst einen katholischen
      Pfarrer einsetzen, dann würden sie sich „vleissig in die Kirchen
      verfugen, die Predig und Gotteß Wordt anhoren undt alßdan [...]
      gehorsamblich einstellen“
      [65]
      .
      
       
      Einen katholischen Pfarrer in der zuständigen Pfarrei
      Marktgraitz einzusetzen, war schon des öfteren versucht worden, doch die
      Gemeinde hatte dies meist vereitelt. Zwar hatte Neithard von Thüngen 1598
      Erfolg, doch kaum war er am 26. Dezember dieses Jahres gestorben, luden
      die Marktgraitzer die Habe des katholischen Pfarrers auf einen Wagen,
      trieben den Geistlichen aus dem Dorf und warfen einige Kilometer davon
      entfernt, auf freiem Feld, den beladenen Karren um. Anschließend trat der
      frühere evangelische Pfarrer sein Amt wieder an. Als er Anfang 1600
      abzog, übertrugen die Untertanen die Pfarrstelle kurzerhand wieder einem
      evangelischen Geistlichen, bevor eine Kommission aus Bamberg zur Stelle
      war, um einen katholischen Priester einzuführen. Im Vorfeld sprach die
      Gemeinde sogar Drohungen gegen die fürstbischöflichen Gesandten aus, und
      als diese in Marktgraitz eintrafen, weigerten sie sich, mit ihnen zu
      sprechen.
      
       
      Marktgraitz und Marktzeuln opponierten über Jahre
      hinweg, entschiedener als fast alle anderen Orte des Hochstifts, gegen die
      landesherrliche Gegenreformation. Um sie zum Einlenken zu bewegen,
      kündigte der Bischof 1600 sogar an, er wolle persönlich dorthin reisen
      und mit den Untertanen im Guten verhandeln, was er allerdings nicht in die
      Tat umsetzte. Es blieb dem Nachfolger Gebsattels, dem 1609 gewählten
      Johann Gottfried von Aschhausen († 1622), vorbehalten, die evangelischen
      Geistlichen aus den beiden Pfarreien endgültig zu vertreiben. Doch auch
      ihm gelang es aufgrund des hartnäckigen Widerstands beider Gemeinden nur
      zum Teil, die Untertanen zur Annahme des katholischen Glaubens zu bewegen.
      Erst 1624 führte Fürstbischof Johann Georg Fuchs von Dornheim (reg. 1623–1633)
      unter Einsatz militärischer Gewalt die Gegenreformation hier zum Sieg.
      
       
      Wenn Gebsattel sich dieser beiden Gemeinden, aber auch
      Döringstadts besonders annahm, dann wohl weniger aus rein konfessionellen
      Gründen, sondern weil durch den Widerstand der Untertanen seine
      fürstliche Reputation in Frage gestellt war. Verstand sich Gebsattel doch
      kaum als Oberhirte, vielmehr als Landesherr. Aus diesem Blickwinkel sah er
      im Grundsatz eine harte Linie bei der Gegenreformation als schädlich für
      das Hochstift an; wie die Mehrheit im Domkapitel favorisierte er eine
      allmähliche ,Bekehrung’ seiner Untertanen. Damit aber erregte er den
      Unwillen Echters und der Bamberger Protagonisten einer raschen
      Gegenreformation und Katholischen Reform.
      
       
      Gebsattel, dessen Mildtätigkeit und gute Beziehung zu
      seinen evangelischen Nachbarfürsten gerühmt wurden, der dagegen
      militärische Konflikte mit Echter nicht scheute, zeigte gegenüber seinen
      evangelischen Untertanen ein gerüttelt Maß an Duldsamkeit, so dass der
      Schwürbitzer Notar Kilian Schauer († 1614), Sohn eines evangelischen
      Pfarrers, 1610 reimte:
      
       
      
       
      
      
       
      „Barmhertzigkeit über die Maß
      
       
                 
      An armen Leuthen übt,
      
       
      Dergleich nit balt gehöret waß.
      
       
                 
      Kein Menschen er betrübt
      
       
                             
      Noch zwang zu frembter Lehr,
      
       
                 
      Ließ jedem sein Gewissen
      
       
                 
      Im Glauben unzerrissen,
      
       
                             
      Der gottseelige Herr.“
      [66]
      
      
       
      
       
      
      
       
      Heftig geißelte Schauer dagegen das Vorgehen der
      Bischöfe Neithard von Thüngen und Johann Gottfried von Aschhausen. Ihnen
      glich in der Härte des Vorgehens der Abt von Langheim, der gebürtige
      Weismainer Johann Bückling (reg. 1592–1608)
      [67.
      1599 rühmte er sich, er habe 2000 seiner Hintersassen zur Konversion
      bewegt. Gegen diejenigen, die am evangelischen Glauben festhielten, wandte
      er drastische Zwangsmaßnahmen an. So ließ er 1601 achtzehn Personen
      unter einem Vorwand ins Kloster vorladen, um sie hier „in ungehewre,
      abschewliche, für Dieb, Mörder und andere Übelthätter verordnete
      Gefengknus“
      [68]
      
      zu werfen. Einige der Festgenommenen blieben 13 Wochen in Haft, bis sie
      schworen, binnen Monatsfrist katholisch zu werden oder fortzuziehen.
      Klagen beim Reichskammergericht in Speyer halfen den lutherischen
      Hintersassen des Klosters wenig. Der Eifer des Abtes fand selbst in Rom
      Anerkennung: 1594 sprach ihm Papst Clemens VIII. sein Lob aus, 1599 der
      Generalabt des Zisterzienserordens.
      
       
      Doch scheute Bückling keineswegs den Kontakt zu
      Protestanten. Wenngleich er als Abt eine streng katholische Position
      verfocht, so pflegte er doch andererseits im Geist des Humanismus die
      überkonfessionelle Gemeinschaft der Gelehrten. Joachim Heinrich Jäck
      zufolge war Bückling „ein außerordentlicher Beförderer der Künste
      und Wissenschaften, liebte nichts mehr als den Besuch und Umgang gelehrter
      Männer, mit welchen er auch den lebhaftesten Schriftenwechsel führte“
      [69]
      .
      
       
      Sein Kunstverstand erwies sich 1605 beim Neubau des
      Wirtshauses in Hochstadt am Main
      [70]
      ,
      das vermutlich nach Plänen des Coburger Malers und Architekten Peter
      Sengelaub errichtet wurde; dieser evangelische Künstler illustrierte
      1613/14 auch liturgische Handschriften des Klosters
      [71]
      .
      
       
      Johann Bückling hatte ab 1580, bereits Priester, an der
      Universität Ingolstadt studiert; als erster Langheimer Mönch seit
      Jahrzehnten hatte er eine Universität besucht, und dies qualifizierte ihn
      wohl nach seiner Rückkehr, die jungen Mönche in Philosophie und
      Theologie zu unterrichten. Auch als Abt erwies sich Johann Bückling als
      „studiorum Mecoenas“
      [72]
      ,
      als Förderer der Wissenschaften, wie ihn der Bamberger Späthumanist
      Martin Hofmann (1544–1599) bezeichnete.
      
       
      Als Lehrer für seine Novizen holte er sich spätestens
      1598 den aus Altewalde in Niederschlesien stammenden Johann Cyaneus (1563–1603),
      Sohn eines katholischen Geistlichen, nach Langheim
      [73]
      ,
      der zuvor als Professor für Poetik am Collegium Ernestinum in Bamberg
      gewirkt hatte. 1595 beglückwünschte Cyaneus den Bruder des Abtes, Georg
      Bückling, durch ein lateinisches Glückwunschgedicht zur Hochzeit
      [74]
      .
      Im Auftrag des Abtes schilderte er im Jahr darauf die
      Entstehungsgeschichte der Wallfahrt Vierzehnheiligen
      [75]
      
      in lateinischen Hexametern, formal streng an der „Aeneis“ des Vergil
      orientiert und inhaltlich fantasievoll ausschweifend – sogar der Hund,
      der den Schäfer Hermann 1445/46 begleitete, erhält einen Namen: „,Harpalus’
      (,Räuber’) heißt er, wie einer der Hunde des Actaeon in Ovids
      Metamorphosen“. Werner Taegert beurteilt die Absicht des Werkes wie
      folgt: „Cyaneus wandte sich an ein humanistisch geschultes – und damit
      exklusives – Publikum. Hier konnte er die intime Vergil-Kenntnis
      erwarten, die für die rechte Würdigung seiner Leistung unabdingbar war
      und ist. Er hielt die Visionen des schlichten Schäfers für würdig, im
      Medium der ranghöchsten klassischen Dichtungsgattung verherrlicht,
      nachgerade heroisiert zu werden. Damit leistete der Dichter Kultpropaganda
      auf einem anspruchsvollen Niveau: Die epische Stilisierung mißt der [...]
      Nothelferverehrung [...] den Anspruch erhabener Geltung und Dignität zu.
      Das außerordentliche formale Raffinement ist nicht belanglose Etüde,
      nicht spielerischer Selbstzweck, sondern gesteigerter Ausdruck der
      Huldigung gegenüber den vierzehn Heiligen.“
      [76]
      
      
       
      Cyaneus war nicht der einzige Literat, der um 1600 in der
      Obermainregion zu Hause war oder wenigstens Beziehungen hierher hatte. Das
      belegt schon sein Vierzehnheiligen-Werk, zu dem auch zwei junge Langheimer
      Mönche, Johann Schreiner († 1610) und Christoph Seyfried († 1616),
      beide aus Weismain stammend, lateinische Gedichte beisteuerten.
      
       
      Ein späthumanistischer Autor wohnte um 1600 in Weismain:
      Dr. Lorenz Neydecker († 1607)
      [77]
      ,
      der, um 1545 geboren, nach Studium und Lehrtätigkeit in Ingolstadt und
      Aufenthalten in Weismain, Kulmbach und Hollfeld, seit ca. 1595 im Haushalt
      seiner Schwester lebte. Neydecker verfasste von etwa 1570 an eine
      größere Anzahl lateinischer Schriften
      [78]
      .
      Noch in seiner Weismainer Zeit erschienen Werke aus seiner Feder: 1601 in
      Mainz und 1604 in Köln. Im Mittelpunkt der Veröffentlichungen stand die
      Rhetorik, namentlich für Juristen relevante Reden. So schrieb er ein
      rhetorisches Lehrbuch für Juristen sowie eine Stilkritik, in der es
      besonders um das Zitieren antiker Autoren ging; ferner analysierte er
      Cicero-Reden von rechtlichem Belang. Daneben verfasste er Schriften zu
      zivilrechtlichen Problemen, namentlich zu Fragen des Erb- und des
      Eherechts.
      
       
      Der Autor widmete seine Werke verschiedenen
      Würdenträgern: dem Fiskal Johann Neydecker († 1579) – einem
      entfernten Verwandten
      [79]
      ,
      der wie der Autor aus Weismain stammte –, den Äbten von Banz und
      Langheim sowie dem Hofer Amtshauptmann Hans Paul von Schaumberg zu Schney
      (1522–1589). Die Widmungen waren nicht nur artige Höflichkeiten,
      sondern erwiesen sich für den Autor zumeist als recht einträglich.
      
       
      Der Weismainer Pfarrer Pankraz Volck gratulierte Johann
      Bückling 1593 durch ein lateinisches Preisgedicht zur Erlangung der
      Abtswürde
      [80]
      .
      Friedrich Müller von Lichtenfels widmete 1583 Fürstbischof Ernst von
      Mengersdorf „ein Tractetlein“
      [81]
      . Philipp Cunovius, der 1597/98
      als Schulmeister in Staffelstein nachzuweisen ist
      [82]
      ,
      verfasste 1596 die lateinische Inschrift für das Epitaph des fünf Jahre
      zuvor verstorbenen Bischofs Ernst
      [83]
      .
      
       
      In die Reihe der späthumanistischen Autoren mit Bezug
      zur Obermainregion ist Laurentius Creidius (Lorenz Kreid)
      [84]
      
      aus Lettenreuth zu zählen. Nachdem er in Wittenberg zusammen mit zwei
      Marktzeulnern, den nachmaligen evangelischen Pfarrern Heinrich Bauter und
      Christoph Thumler
      [85]
      ,
      studiert hatte, wurde er 1579 Rektor zu Treuenbrietzen, 1582 Konrektor,
      1588 Rektor des Gymnasiums zu Berlin. Hier ließ er eine Reihe
      lateinischer Dichtungen drucken, die, abgesehen von Gelegenheitswerken,
      biblische Stoffe behandelten. 1590 wurde er evangelischer Pfarrer im
      sächsischen Herzberg.
      
       
      Erwähnt sei ferner der evangelische Adlige und vormalige
      Domherr Veit Ulrich Marschalk von Ebneth († 1625), der in der
      Obermainregion begütert war – seinen Staffelsteiner Besitz verkaufte er
      1600 dem Bamberger Domkapitel – und als graue Eminenz am Hofe Gebsattels
      galt
      [86]
      .
      Er trat zwar nicht als Verfasser hervor, unterhielt aber in seinem neuen
      Schloss zu Frensdorf
      [87]
      
      eine umfangreiche Bibliothek
      [88]
      .
      1608 entlieh er aus der Banzer Klosterbibliothek ein Werk des Erasmus von
      Rotterdam
      [89]
      .
      
       
      Der Kontakt zum Kloster Banz kam wohl nicht von
      ungefähr, erwies sich doch auch der Banzer Abt als Freund der Musen. Der
      Coburger „musicus“ Benedikt Faber sandte ihm 1608 „cantiones“
      [90]
      ;
      im selben Jahr schickte der Münchner Hoforganist Rudolph di Lasso, Sohn
      des großen Orlando di Lasso, eine Komposition nach Banz
      [91]
      .
      
       
      Selbstverständlich wurde der Abt nicht bloß deswegen
      bedacht, weil er als kunstverständig galt, sondern weil er auch über die
      finanziellen Mittel verfügte, um seiner Anerkennung handfesten Ausdruck
      zu verleihen. So ehrte auch Heinrich Zenck aus Scheßlitz, von 1610 bis
      1616 Pfarrer von Staffelstein, den Banzer Abt 1611 durch eine „Elegia“
      zu dessen Namenstag, nicht ohne um Holz zu bitten
      [92]
      .
      1608 übermittelte der Schneyer Vogt Nikolaus Breithaupt, gebürtig aus
      Creuzburg, mit der Tochter des reichsten Lichtenfelsers verheiratet, dem
      Prälaten Neujahrsglückwünsche in gewandtem Latein mit griechischen
      Einsprengseln
      [93]
      .
      Abt Thomas Bach (reg. 1598–1624), aus Markelsheim im Taubertal gebürtig,
      hinterließ sogar ein selbst verfasstes lateinisches Gedicht
      [94]
      .
      
       
      Bach sei ein „der Disciplin wol zugethaner Prelat“
      gewesen, rühmte ihn sein Nachfolger
      [95]
      ;
      tatsächlich aber lebte Bach im Konkubinat mit der Staffelsteiner
      Bürgerstochter Margaretha Wagner, die der Staffelsteiner Pfarrer 1612
      mokant als „Margaretha abbatissa in Bantz“ bezeichnete
      [96]
      .
      Der Abt hatte mit ihr zwei Söhne, die seinen Familiennamen trugen, und
      auch einige Mönche hatten Konkubinen und wurden Väter.
      
       
      Damit ähnelte Thomas Bach dem Bamberger Fürstbischof
      Johann Philipp von Gebsattel, der sieben Kinder hinterließ. Wie dieser
      pflegte er freundlichen Umgang mit Herzog Johann Casimir von
      Sachsen-Coburg
      [97]
      ,
      der ihn mehrfach zum Stahlschießen einlud, und mit der Coburger
      Regierung. Der Bruder Johann Casimirs, der Herzog von Sachsen-Eisenach,
      schenkte 1598 dem Banzer Abt drei lebende Tiere: ein Wildschein, ein Reh
      und ein Kamel
      [98]
      .
      
       
      Trotz unübersehbarer Gemeinsamkeiten hatte Abt Thomas
      ein schlechtes Verhältnis zu Gebsattel, während er mit dessen
      Opponenten, dem aus Weismain stammenden Domprediger und späteren
      Weihbischof Friedrich Förner, und mit Bischof Aschhausen in gutem
      Einvernehmen stand, trotz seines Lebenswandels, den der Bischof bei einem
      bambergischen Pfarrer nicht toleriert hätte
      [99]
      .
      
       
      Auch in seiner Religionspolitik erweist sich Thomas Bach
      als eigenständig. Einerseits forderte er evangelische Untertanen zur
      Konversion oder Auswanderung auf, gebot er seinen Hintersassen die
      österliche Beichte und Kommunion, befahl er den Altenbanzern, ihre Kinder
      zum katechetischen Unterricht zu schicken, ließ er im Kloster neue
      Altäre aufrichten und eine Kapelle bauen. Doch andererseits untersagte er
      – ganz und gar ungewöhnlich in der Zeit der katholischen Reform –
      seinen Untertanen in Draisdorf, sich an der Wallfahrt der Pfarrei
      Döringstadt nach Vierzehnheiligen zu beteiligen, „weiln es dan wegen
      Ferne des Wegß ohne Zehrung nich[t] leichtlich außgehet unndt offtermals,
      was am Vormittag gebettet, Nachmittag beim Trunck wider verflucht oder
      sonsten verderbt wirdt“
      [100]
      .
      
       
      Den Klöstern Banz und Langheim stand die
      Benediktinerabtei Michelsberg, an deren Spitze mit Johann Müller (reg.
      1593–1622)
      [101]
      
      ein gebürtiger Weismainer stand, als Kulturträger nicht nach. Martin
      Hofmann, Vogt des Benediktinerklosters Michelsberg zu Bamberg
      [102]
      ,
      dessen Schwager Hans Blumenschein von 1582 an für wenige Jahre als Vogt
      in Lichtenfels amtierte
      [103]
      ,
      veröffentlichte 1595 eine Geschichte der Stadt Bamberg und der
      Michelsberger Äbte, das er dem Fürstbischof und dem amtierenden Abt
      widmete. Darin würdigte er ausführlich den aus Staffelstein stammenden
      Abt Andreas Lang (reg. 1483–1503), der selbst schriftstellerisch
      hervorgetreten war. Indem er den Landstrich schilderte, aus dem Andreas
      Lang hervorgegangen war, lieferte Martin Hofmann das früheste
      Staffelberg-Gedicht:
      
       
      
       
      
      
       
      „Est Babebergenses inter
      pulcherrima montes
      
       
      Exit et in longas vallis
      utrimque plagas.
      
       
      Quam super hinc caelo surgens
      stat saxea rupes,
      
       
      Quae vetus a gradibus nomen
      adepta tenet.
      
       
      In medio gelidas aequante
      cacumine nubes
      
       
      Antra per obscuras stant latebrosa vias,
      
       
      Quae tenuisse ferunt
      terrestria numina Sylphes.
      
       
      Atque sub his auri vim
      posuisse locis.
      
       
      Testis erunt grandes excisi
      rupibus arcus,
      
       
      Testis et antiquae prisca moneta notae.“
      
       
      
       
      
      
       
      Der Bamberger Archivar Michel Hofmann – übrigens
      Berater Carl Orffs bei der Textauswahl für die „Carmina Burana“ –
      hat die Verse Hofmanns 1956 wie folgt ins Deutsche übertragen:
      
       
      
       
      
      
       
      „Dort inmitten der Höhen des Babenberger Gebirges
      
       
      Dehnt sich ein herrliches Tal weit durch die Lande dahin,
      
       
      Himmelan hebt darüber ein Fels die steinerne Stirne,
      
       
      Nach seinen Staffeln gewiß schon von den Alten benamst.
      
       
      Hier wo das kühle Gewölk berührt den mittleren Gipfel,
      
       
      Führt ein finsterer Pfad tief in das Höhlen-Versteck,
      
       
      Wo nach der Sage des Volks vor Zeiten die Erdgeister
      hausten,
      
       
      Wo sie den goldenen Hort bargen im Innern des Bergs.
      
       
      So bezeugt es die Wölbung, die breit aus dem Felsen
      gemeißelt,
      
       
      Auch altertümliches Gold, wie es die Vorzeit geprägt.“
      [104]
      
      
       
        
       
      
       
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