BEILAGEN

 

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

1500

1600

1700

1800

1900

 

Abbil-
dungen

Wiesen

Weismain

Kloster
Langheim

Kloster
Banz

Staffelstein

 

1800: Aufklärung und nahender Umbruch

 

Eine Gesellschaft unter Führung des sachsen-coburg-saalfeldischen Kommerzienrats Ehregott Adam Friedrich Meyer (1765–1819) aus Neustadt bei Coburg – damals noch Neustadt an der Heide – besuchte im Jahr 1800 das Benediktinerkloster Banz. Dort war man gewohnt, Gäste zu empfangen, nicht nur solche aus der Nachbarschaft, sondern auch von weither. Denn das Kloster hatte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen Ruf in der gelehrten Welt errungen, der es zu einem geistigen und zum gesellschaftlichen Mittelpunkt in Franken machte. Bezeichnenderweise kostete der Unterhalt des über dreißigköpfigen Konvents nur wenig mehr als die Verpflegung der Besucher [163] .

Die Leistungen der Mönche in diversen wissenschaftlichen Disziplinen – nicht nur in der Theologie, in der Banz zum Vorreiter der katholischen Aufklärung wurde, sondern auch in der Philosophie, in der Literaturwissenschaft, in der Vermessungskunde, in der Biologie [164] –, dazu die modernen, aufklärerischen Ansprüchen genügende Bibliothek, das umfangreiche Naturalienkabinett, die Münzsammlung des Abtes waren die Attraktionen. Unter katholischen Gelehrten hatte sich Banz einen Namen gemacht durch die Herausgabe einer Zeitschrift mit wechselndem Titel ab 1772, in der vornehmlich – teilweise sehr umfangreiche – Rezensionen neuerschienener Bücher aus allen Wissensgebieten, namentlich theologischer und philosophischer Werke erschienen [165] .

Endgültig war das Kloster durch die vielgelesene Reisebeschreibung des Berliner Buchhändlers Friedrich Nicolai (1733–1811) zu Berühmtheit gelangt, wie einer der prominentesten Banzer Konventualen, P. Placidus Sprenger (1735–1806), 1803 konstatierte: „Durch diese Reisebeschreibung ward unser Klosterstift, absonderlich im protestantischen Deutschland, mehr als durch gelehrte Zeitungen, bekannt, und viele Gelehrte und Vornehme wurden dadurch gereizt, es mit ihrem Besuche zu ehren und mit eignen Augen zu sehen.“ [166]

Friedrich Nicolai, der dem Katholizismus skeptisch gegenüberstand und hergebrachte Frömmigkeitsformen mit grimmigem Hohn kommentierte – angesichts einer Wallfahrt nach Vierzehnheiligen sprach er von „schändlichen Ausbrüche[n] des Aberglaubens, der Dummheit, und der Zügellosigkeit“ [167] –, fand für Banz rühmende Worte: „Wir sahen noch eine gute Weile nach den Thürmen von Banz zurück, und es kreuzten sich in mir viele Gedanken über das Mönchsleben. Es ist gewiß, wenn man es von der vortheilhaftesten Seite ansehen will, so muß man es zu Banz sehen. Ein schönes Gebäude, in gesunder Luft, in einer angenehmen und fruchtbaren Gegend. Ein verständiger und toleranter Abt, gelehrte Religiosen, ein gewisser, freyer und herzlicher Ton im Umgange, den ich in sehr wenig andern Klöstern gefunden habe.“ [168]

Auf den Spuren Nicolais kamen zahlreiche Gelehrte nach Banz, so der Altdorfer Professor Georg Andreas Will (1727–1798), ein namhafter Historiker und Numismatiker, der Erlanger Apotheker und Honorarprofessor Ernst Wilhelm Martius (1756–1849) [169] , der Erlanger Philosophie-Professor Friedrich Carl Gottlob Hirsching (1762–1800) [170] und der Salzburger Konsistorialrat Klement Alois Baader (1762–1838) [171] . Zu den Vornehmen zählten nicht nur viele Adlige der Umgebung, sondern auch Herzog Karl Eugen von Württemberg (1728–1793), der am 8. März 1785 von Bamberg aus einen Abstecher nach Banz machte [172] ; zweimal versuchte er – beide Male vergeblich –, Banzer Mönche an seinen Stuttgarter Hof zu berufen [173] .

Kommerzienrat Meyer unterschied sich, als er 1800 nach Banz kam, von den übrigen Gästen,weil er gewissermaßen einen Gegenbesuch abstattete, denn Abt Otto Roppelt (reg. 1792–1800) hatte während des Sommers 1800 einige Tage im Hause Meyers zu Neustadt verbracht [174] . Der Abt war 1796 von französischen Truppen für einige Zeit als Geisel genommen worden und floh daher beim neuerlichen Einfall, um die Gefahr wissend, rechtzeitig. Dass er sich in das benachbarte Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld wandte, spiegelt das gute Verhältnis des Klosters zu Coburg, wo ab 1775 auch die Banzer Zeitschrift verlegt wurde, ebenso Werke von Konventualen.

Im Juli 1800 drangen französische Truppen im Rahmen des 2. Koalitionskriegs, der 1798 um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum entbrannt war, nach Franken vor, als sie sich militärisch gegen Österreich durchgesetzt hatten und das Hochstift Bamberg zum französischen Einflussgebiet erklärt war. Durch die Erfolge Frankreichs standen politische Umwälzungen ins Haus. Der Frieden von Lunéville, der das Ende des 2. Koalitionskriegs einleitete, bestimmte den Rhein als Grenze zwischen Frankreich und dem Reich; die Gebietsverluste der deutschen Fürsten sollten, wie schon 1797 im Frieden von Campoformio ins Auge gefasst, durch die Säkularisation geistlicher Fürstentümer entschädigt werden.

Geistliche Institutionen waren im Zeitalter der Aufklärung ohnedies ins Fadenkreuz der Politik geraten. In den 1780er Jahren hatte Kaiser Joseph II. rund 800 Klöster und Stifte in den habsburgischen Erblanden aufgehoben, vor allem Niederlassungen von Bettelorden. Lediglich Klöster, die dank ihrer seelsorgerlichen, schulischen oder karitativen Aufgaben als „gemeinnützlich“ – ein Schlüsselwort der Aufklärung – galten, überstanden die josephinischen Reformen.

Doch als Entschädigung für die Fürsten, die linksrheinische Gebiete an Frankreich verloren hatte, waren um 1800 bereits geistliche Fürstentümer und auch Klöster im Gespräch. Eine Säkularisierungswelle schien bevorzustehen, was ein Mitglied der Meyerschen Reisegesellschaft zu dem Ausruf veranlasste: „Meinethalben mögen die Großen und Gewaltigen alle Klöster metamorphosiren, ich will nichts dawider haben; nur Banz sollen sie mir ungehudelt lassen, oder sie haben es mit mir zu thun.“ [175] Auf der Rückreise, nachdem jeder sich vom blühenden Geistesleben und der geordneten klösterlichen Wirtschaft überzeugt hatte, sprach die gesamte Gruppe die Hoffnung aus, „daß keine Secularisation diesen Sitz so vieler würdigen und vortrefflichen Menschen treffen möge“ [176] .

Doch gewann, wie der Banzer Konventuale Georg Ildephons Schatt 1821 in seiner Biographie des letzten Banzer Abtes Gallus Dennerlein schrieb, „das hundertzüngige Gerücht“, das „von Aufhebung der Klöster sprach, immer mehr an Wahrscheinlichkeit“ [177] . Wie stark man in Banz damit rechnete, an Bayern zu fallen und aufgehoben zu werden, wurde offenbar, als im April 1802 der bayerische Major Karl Roger von Ribaupierre (1755–1809), aus Bamberg kommend, im Kloster eintraf. Ihn hatte Kurfürst Maximilian IV. Joseph von Bayern (reg. 1799–1825) als „einen seiner fähigsten Generalstabsoffiziere“ [178] gesandt, damit er die Kurbayern zugedachten Gebiete in Augenschein nehme. Besuchte er gemeinhin nur Reichs- und Residenzstädte, so erschien ihm doch die „berühmte Benediktinerabtei Banz [...] zu einladend, um nicht besucht zu werden“.

In Banz hatte man von der Ankunft des bayerischen Spähers schon erfahren; der Abt hieß Ribaupierre auf zuvorkommende Weise willkommen, wobei er ihm „deutlich zu verstehen [gab], daß er mich als bayerischen Kommissär empfange.“ Von dieser Ansicht ließ sich der Prälat nicht abbringen; er richtete unverklausuliert eine Bitte an den Major: „Einen Herrn müssen wir haben, wir wissen zu gehorchen, werden uns zu jeder nützlichen Bestimmung bereitwillig finden und also scheuen wir auch nicht, den Wunsch zu äußern, daß, wenn das Kloster nicht bestehen darf, wir darin aussterben dürfen.“ [179]

Der Abt bot Ribaupierre an, das gesamte Kloster zu besichtigen, doch dieser beschränkte sich  hier ganz Bildungsreisender auf die Bibliothek und das Naturalienkabinett. Beim Mittagessen im Refektorium traf er, so sein Bericht, „unter der Mönchskleidung lauter Männer [...], wie solche sehr selten in der gebildetsten Welt zusammentreffen. Man überließ mir unmerklich, die Gegenstände für die Unterhaltung zu wählen. Über Politik, Mönchtum, Jesuitismus, neueste Philosophie fanden freimütige Äußerungen statt“.

Ebenso wie die anderen aufklärerischen gesinnten Gäste der Abtei war Ribaupierre ausgesprochen angetan von den Begegnungen in Banz. Er schloss den Abschnitt in seinem Rapport mit den Worten: „Ich entfernte mich mit hoher Achtung für das Phänomen: Menschenwürde unter der Mönchskappe.“ [180]

Gallus Dennerlein trieben Pläne um, wie er das Kloster erhalten könne. Dass es nicht zu einer Fabrik tauge, führte er Ribaupierre vor Augen [181] . Doch sah er ein, dass „gemeinnützliche“ Aufgaben nötig waren. „Die Umschaffung des Klosters zu einer Schul- und Studienanstalt war daher der Hauptgedanke, um den sich in seiner Seele alle anderen wie Planeten um ihren Fixstern bewegten.“ [182]

Doch alle Pläne wurden nichtig, nachdem am 30. November 1802 der Bamberger Hof- und Regierungsrat Georg Friedrich Merz namens des neuen Landesherrn die Abtei in Besitz genommen und mit einer anschließenden detaillierten Inventarisation des Klosters sowie der Entlassung der fünf Novizen am 24. Dezember 1802 der Aufhebungsvorgang begonnen hatte; im September 1803 verstreute sich der Konvent [183] .

Umwälzungen kündigten sich an: von den ,territoria non clausa‘ hin zu Flächenstaaten, von der Bündelung einzelner Rechtstitel hin zur Staatssouveränität, von der Tradition als bestimmender Kraft hin zur Nützlichkeit als Leitlinie. Das bedeutete auch, dass dem fränkischen Niederadel der Verlust seiner Reichsunmittelbarkeit drohte.

Um 1800 behaupteten die Mitglieder der reichsritterlichen Familien noch ihre althergebrachten Positionen. Sie stellten die Domherren, die aus ihrer Mitte bei einer Vakanz des Bischofsstuhls den neuen Oberhirten kürten. Die letzte Wahl des 18. Jahrhunderts war 1795 auf den siebzigjährigen Christoph Franz von Buseck (1724–1805) gefallen – und nicht auf den vom Kaiser gewünschten Georg Karl von Fechenbach (1749–1808), Busecks Neffen [184] . Dieser errang zwar die Bischofswürde in Würzburg, nicht aber in Bamberg, so dass die seit 1757 hergebrachte Personalunion beider Hochstifte beendet war.

Wie Karl Heinrich Ritter von Lang (1764–1835) in seinen Memoiren berichtet, hatte der mit vizeköniglicher Gewalt ausgestattete Minister Karl August von Hardenberg (1750–1822), der Verwaltungschef der 1792 an Preußen gefallenen Fürstentümer Bayreuth und Ansbach, jenes Wahlergebnis mittels Bestechung eines Domherrn herbei geführt. Der Gekaufte brüstete sich nach der Wahl, „daß man [...] mit der Person des Neugewählten zufrieden sein werde; denn ein schwächerer und einfältigerer Mann, als dieser, wär’ im ganzen Germanien gewiß nicht zu finden gewesen“ [185] . Angeblich war auch die Reaktion des Volkes, als der Name des neuen Oberhirten ausgerufen wurde, von Enttäuschung geprägt, hatte man doch drei andere Kapitulare, darunter Fechenbach, als Favoriten angesehen [186] .

Ein namentlich nicht bekannter höherer bayerischer Beamter charakterisierte den Fürstbischof 1802, am Vorabend der Säkularisation, so: „Der Fürst nahe an 79 Jahren, beinahe ohne Gedächtnis, regiert nur durch Eigensinn, in gewissen Fällen fast ganz unter dem Einfluß des geheimen Referendärs, und einiger – mehr unbekannt wirkender Menschen, die ihn mißbrauchen, wenigstens benutzen.“ [187]

Immerhin wurde 1800 eine erneute Personalunion der beiden Mainbistümer vorbereitet: Fechenbach wurde vom Bamberger Domkapitel zum Koadjutor seines Onkels Buseck gewählt [188] ; verbunden damit war das Recht der Nachfolge als Fürstbischof. Doch der greise Buseck überlebte das Hochstift Bamberg, das im Herbst 1802 an das Kurfürstentum Bayern fiel; als letzter Fürstbischof starb er, seiner weltlichen Herrschaft entkleidet, am 28. September 1805.

Doch nicht nur das hergebrachte Recht des Adels auf die Domherrenpräbenden bestand wie seit Jahrhunderten. Auch maßgebliche Positionen in der weltlichen Verwaltung waren traditionell mit Söhnen ritterschaftlicher Geschlechter besetzt. Unter den 76 Hof- und Regierungsräten, die man 1802 in Bamberg zählte, waren 31 von Adel [189] . Hinzu kamen Stellen außerhalb der Residenzstadt. So stand seit 1773 der Verwaltung im Amt Lichtenfels als Oberamtmann [190] Philipp Anton Reichsfreiherr von Künsberg zu Oberlangenstadt, Tüschnitz und Nagel (1747–1807) vor. 1802 konstatierte der zitierte bayerische Beamte: „Die Oberämter sind den weltlichen Söhnen des Adels – was den Geistlichen die Präbenden sind“; diese Stellen könnten „aus der Maschine des Staats weggenommen werden [...], ohne einen Stillstand in derselben hervorzubringen; sie sind nach einem sehr richtigen Ausdruck unnüze Überladungen. Ihrer sind 19 im Genuß ansehnlicher Nutzungen, die oft in ganzen Domänen, Schlössern, Wiesen, Grundstücken, Zehnden, Waldungen, Naturalien, Jagden, sogar Regalien bestehen.“ [191]

Philipp Anton von Künsberg residierte um 1800 nicht in Lichtenfels, denn er hatte zugleich ein Hofamt inne: Er war Oberstallmeister des Fürstbischofs. Seinen Arbeitsalltag hat Albert Elstner, offenbar gestützt auf Aufzeichnungen des Sohnes von Philipp Anton, wie folgt geschildert: „Gegen 12 Uhr kam täglich der Oberstallmeister, gepudert, den Zopf frisch gewickelt, in rot-gold bestickter Uniform, weißen Kaschmirbeinkleidern, Stiefel und Sporen, in seinem Stadtwagen zur fürstlichen Durchlaucht, um über den Marstall den schuldigen Rapport zu machen und die Befehle entgegenzunehmen. [...] Zum Bereich des Oberstallmeisters gehörte auch die Pagerie. [...] Im Herbst nahm der Oberstallmeister zwei Züge fürstlicher Pferde mit nach Oberlangenstadt, um dort seine Ökonomie zu bestellen.“ [192]

Äußerlich betrachtet, unterschied sich das Verhältnis der Niederadligen zum Hochstift um 1800 nicht von früheren Zuständen. Der Fürstbischof war für viele Ritter Lehensherr, für zahlreiche auch Dienstherr; gleichwohl behaupteten die Niederadligen ihren reichsunmittelbaren Status, der ihren Dörfern weitgehende Unabhängigkeit vom Fürstentum sicherte, das den ritterschaftlichen Ort nicht selten ganz umschloss. Die bambergische Haltung ihnen gegenüber basierte auf der althergebrachten, durch zahllose Streitigkeiten geformten Rechtslage. Im Grunde war der einzelne Ritter auch vom benachbarten Adligen unabhängig, allerdings waren die Geschlechter in Ritterkantonen zusammengeschlossen. Die Mehrzahl der Güter im heutigen Landkreis Lichtenfels zählten zum Kanton Gebürg, dessen Kanzlei samt Archiv und Botenwohnung sich in der fürstbischöflichen Residenzstadt Bamberg befand [193] .

Einen ganz anderen Weg als die Bamberger Bischöfe beschritt Karl August von Hardenberg in den preußisch gewordenen Markgraftümern Bayreuth und Ansbach. Ungeachtet früherer Rechtspositionen, selbst von den Markgrafen geschlossene Verträge missachtend, nahm Hardenberg den reichsritterlichen Gütern ihre Unabhängigkeit vom umgebenden Fürstentum. Hardenberg ließ sich seine bereits begonnene Politik 1796 durch eine königliche Instruktion legitimieren. Diese postulierte die fränkischen Markgraftümer als „ein völlig geschlossenes Land“; innerhalb der Grenzen gebe es nur die Landeshoheit des Fürsten und kein anderes, davon unabhängiges Herrschaftsrecht.

Zu Recht hat Fritz Hartung das Vorgehen Hardenbergs, der sich nötigenfalls auf Gewalt stützte, als völlig neuartig charakterisiert. „Es war ein schlechthin revolutionärer Akt, zu dem Hardenberg seinen König veranlaßte.“ Zugrunde lag die „Theorie von der Unveräußerlichkeit, Unteilbarkeit und Ausschließlichkeit der Souveränität des Staates. Sie hatte das 18. Jahrhundert beherrscht, Rousseau hatte sie scharf formuliert, die französische Nationalversammlung hatte sie praktisch zu verwirklichen gesucht“. Auf der Grundlage des Gedankens von „Einheitlichkeit und Unteilbarkeit des Staates“ drängte Hardenberg die Ritter zurück [194] .

Unbekannt war solches Gedankengut auch im Hochstift Bamberg nicht. Dies zeigte sich etwa im Sommer 1796, als von seiten Bambergs die Herrschaft des in Schney residierenden Reichsgrafen Wilhelm Christian August von Brockdorff (1752–1824) über Unterleiterbach praktisch in Frage gestellt wurde [195] .

Damals herrschte Krieg zwischen dem revolutionären Frankreich und dem Reich. Nachdem die Franzosen unter General Jourdan Anfang August ins Hochstift Bamberg eingefallen und bis in die Oberpfalz vorgedrungen waren, mussten sie sich Ende August in den Raum Würzburg zurückziehen. Bei Oberpleichfeld wurden sie am 3. September vom kaiserlichen Heer derart schwer geschlagen, dass sie Franken verlassen mussten [196] .

Um die Truppen zu versorgen, waren erhebliche Transportleistungen erforderlich. Dafür hatten die bambergischen Untertanen Wagen und Pferde unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Als der Vogt von Zapfendorf einen bespannten Wagen auch von den Bewohnern des brockdorffischen Dorfes Unterleiterbachern verlangte, erhielt er die Antwort, dass das Hochstift Bamberg ihnen keine Befehle erteilen könne.

Von Bamberg angewiesen, nötigenfalls gewaltsam vorzugehen, machte sich der junge, gerade zum Vogt berufene Jurist Franz Geiger (1770–1846) daran, die Stellung eines Fuhrwerks zu erzwingen. Doch als er dies versuchte, ließ Graf Brockdorff ihn und seine 15 Begleiter in Unterleiterbach entwaffnen und für einige Stunden festnehmen. Geigers Bericht über dieses Ereignis ist bestimmt von seiner typisch aufklärerischen Adelskritik [197] und der modernen Idee der Staatssouveränität: Unterleiterbach liege im bambergischen Territorium, und Einschränkungen der fürstbischöflichen Herrschaft beruhten nicht auf einem Recht des Grafen von Brockdorff, sondern auf einer Gnade des geistlichen Landesherrn.

Unter dem Eindruck von Geigers Schreiben bezeichnete die Regierung zu Bamberg das Verhalten des Grafen als „erniedrigend“ und „beleidigend“. Dem Hochstift Bamberg und seinem Beamten solle Genugtuung verschafft werden, indem Militär, angeführt vom Zapfendorfer Vogt, von den gräflichen Hintersassen Fuhrleistungen unbedingt beitreibe. So marschierten wenige Tage später 80 bis 100 bambergische Soldaten in Unterleiterbach ein, verhafteten sechs Männer, riefen die übrigen Einwohner zusammen, bildeten um sie einen Kreis, und der Hofkriegsrat, der den Trupp kommandierte, hielt eine „Strafrede“. Der Wirt und sein Knecht mussten in Bamberg vier Tage Frondienst mit Wagen und zwei Pferden leisten.

An die beiden Vorfälle schloss sich ein Papierkrieg an. Geiger beschwerte sich über den Grafen; Graf Brockdorff erregte sich über das bambergische Vorgehen; der Ritterkanton protestierte, die Bamberger Regierung wies die Vorwürfe zurück und erklärte ihrerseits, das Auftreten des Grafen und die Weigerung seiner Hintersassen nicht hinnehmen zu wollen. Der Kanton sah im Vorgehen Methode: „Keinesweges kann uns zugemuthet werden [...], daß unsere Rittergüter, ihre Besitzer und Unterthanen von der Willkühr der Hochstiftsstellen abhangen und daß sie unbefugten Befehlen und Exekutionen preisgegeben werden sollen.“ Als das Amt Zapfendorf in einem Schreiben die gräflichen Untertanen als „brockdorfische Lehenleute“ bezeichnete und damit ausdrückte, dass dem Grafen lediglich die Lehenshoheit, aber keine weiteren Herrschaftsrechte zukämen, fand der Ritterkanton deutliche Worte: „Diese Benennung ist nun erwiesene Nachahmung des bayreuthischen Benehmens und Grundsatzes, und es scheinet also wirklich, daß es auf Unterjochung des unmittelbaren Ritterguts Unterleiterbach angesehen seyn wolle.“ Um den Anfängen zu wehren, erhob der Kanton Klage gegen Bamberg beim Reichshofrat.

Praktische Auswirkungen hatte das bambergische Vorgehen freilich nicht. Zwar gab es zwar unter den Beamten einige Männer, die allzu gerne die Politik Hardenbergs nachgeahmt hätten, doch das Bestreben der Hochstiftsspitze ging nicht dahin. So blieb denn die gewachsene Verfassung bestehen, auch wo sie unzweckmäßig war. Erst das Kurfürstentum Bayern beseitigte binnen weniger Jahre die auf eigenem Recht gründete Herrschaft des Niederadels [198] .

Beharrung bildete die ausschlaggebende Größe nicht nur im Verhältnis mehrerer Herren zueinander, sondern selbst innerhalb des Hochstifts. Tradition, nicht Zweckmäßigkeit bestimmte die Praxis. So lagen etliche Lehen, von denen der Lichtenfelser Kastner die Abgaben einnahm, im Amt Burgkunstadt [199] ; in Marktgraitz unterstanden die bischöflichen Lehen drei verschiedenen Verwaltungen [200] .

Doch die Kraft zu tiefgreifenden, umfassenden Reformen fehlte im Hochstift Bamberg. Die Spitzenbehörden übten nicht die „oberste Controlle“ aus, sondern kümmerten sich um Details und fällten Einzelentscheidungen selbst; die Kompetenzen der einzelnen Regierungsstellen waren unscharf abgegrenzt, was zu „stetten Collisionen“ führte. Ein Gesetzeskodex lag nicht vor. Statt dessen gab es zahllose landesherrliche Verordnungen, „allein weder systematisch, weder alphabetisch, weder chronologisch sind sie gesamelt“. Die Behörden mußten in jedem Fall „sorgfältig forschen, was verordnet ist, um darüber zu erkennen, was der Unterthan hätte thun sollen“ [201] .

Eifrig wurden die Herrschaftsverhältnisse in den einzelnen Orten beschrieben, wurden wirtschaftliche Strukturen untersucht, wobei freilich nicht der Staat tätig wurde, sondern Privatmänner wie der Banzer Mönch und Bamberger Mathematik-Professor P. Johann Baptist Roppelt (1744–1814) [202] , der Schweinfurter evangelische Geistliche Johann Kaspar Bundschuh (1753–1814) [203] , der Bamberger Archivar Benignus Pfeufer (1732–1797) [204] oder der Bamberger Student und nachmalige fürstbischöfliche Kammerrat Franz Adolph Schneidawind (1766–1808) [205] . Obrigkeitliche Statistiken als Planungsgrundlage, wie sie die Aufklärung für unverzichtbar hielt, waren Mangelware: „Eben so wenig als das Land vermessen, sind die Menschen gezählet.“ [206]

 


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[163]      Sprenger, Placidus: Diplomatische Geschichte der Benedictiner Abtey Banz in Franken von 1050 bis 1251. Nürnberg 1803, S. 127; Schatt, Georg Ildephons: Lebens-Abriß des Hochwürdigen und Hochwohlgebornen Herrn Gallus Dennerlein Abten und Prälaten des aufgelößten Benedictiner-Stifts Banz. Bamberg / Würzburg 1821, S. 53.

[164]      Ein Überblick bei Dippold, Günter: Kloster Banz. Natur. Kultur, Architektur. Staffelstein 1991, S. 69–73.

[165]      Forster, Wilhelm: Die kirchliche Aufklärung bei den Benediktinern der Abtei Banz im Spiegel ihrer von 1772 bis 1798 herausgegebenen Zeitschrift. In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 63 (1951), S. 172–233; 64 (1952), S. 110–233; auch Kuhn, Martin: Die Welt des barocken Klosters Banz im Spiegel seiner Benediktiner-Zeitschrift 1772–1798. In: Geschichte am Obermain 6 (1970/71), S. 33–70. Eine Untersuchung zu dieser Zeitschrift bereitet derzeit P. Niklas Raggenbass OSB, Abtei Engelberg (Schweiz), vor.

[166]      Sprenger (wie Anm. 163), S. 15.

[167]      Nicolai, Friedrich: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Bd. 1. Berlin / Stettin 1783, S. 111f.

[168]      Ebd., S. 113f. – Auf differenzierende Urteile zur geistigen Bedeutung von Banz verweist Walther, Karl Klaus: Buch und Leser in Bamberg 1750–1850. Zur Geschichte der Verlage, Buchhandlungen, Druckereien, Lesegesellschaften und Leihbibliotheken. Wiesbaden 1999 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 39), S. 52f.

[169]      Die Reisebeschreibungen von Will und Martius in Herd, Rudolf: Banzer Reisebeschreibungen aus dem 18. Jahrhundert. In: Geschichte am Obermain 6 (1970/71), S. 13–29.

[170]      Hirsching, Friedrich Carl Gottlob: Historisch-Geographisch-Topographisches Stifts- und Closter-Lexicon. Bd. 1. Leipzig 1792, S. 281–295.

[171]      Baader, Klement Alois: Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlandes in Briefen. Bd. 2. Augsburg 1797, S. 316–329.

[172]      Uhland, Robert (Hrsg.): Carl Eugen von Württemberg. Tagbücher seiner Rayßen nach Prag und Dresden, durch die Schweiz und deren Gebürge, nach Nieder-Sachßen und Dännemark, durch die angesehensten Clöster Schwabens, auf die Franckforter Messe, nach Mömpelgardt, nach den beiden Königreichen Franckreich und Engelland, nach Holland und manch anderen Orten in den Jahren 1783–1791. Vom Herzog Carl Eugen selbsten geschrieben. Tübingen 1968, S. 215–217.

[173]      1785 Ildephons Schwarz und 1789 Roman Schad. Vgl. Frank, Othmar: Andenken an Ildephons Schwarz, Benediktiner, Bibliothekar und Professor der Philosophie, Mathematik und Theologie im Stifte Banz. Bamberg / Würzburg 1795, S. 44f.; Dippold, Günter: Johann Baptist (Roman) Schad aus Mürsbach – Herkunft, Jugend und Leben im Kloster. In: Heimat Bamberger Land 3 (1991), S. 121–127.

[174]      Andrian-Werburg, Klaus Frhr. von: Früher Großhandel in Sachsen-Coburg. Das Handelshaus Meyer & Co. in Neustadt. In: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 24 (1979), S. 137–146, hier S. 140–143.

[175]      [Meyer, Ehregott Adam Friedrich:] Kleine Reisen in die schönsten Gegenden meines Vaterlandes. Erstes Bändchen, oder Reise nach Stift und Kloster Banz. Weimar 1801, S. 6.

[176]      Ebd., S. 76.

[177]      Schatt (wie Anm. 163), S. 55.

[178]      Hofmann, Hanns Hubert: ... sollen bayerisch werden. Die politische Erkundung des Majors von Ribaupierre durch Franken und Schwaben im Frühjahr 1802. Kallmünz 1802, S. VIII.

[179]      Ebd., S. 10.

[180]      Ebd., S. 11.

[181]      Ebd., S. 11; zum Besuch Ribaupierres auch Schatt (wie Anm. 163), S. 51.

[182]      Schatt (wie Anm. 163), S. 50.

[183]      Forster, Wilhelm: Die Säkularisation und das Benediktinerkloster Banz. In: Glaser, Hubert (Hrsg.): Wittelsbach und Bayern III/1. Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1799–1825. München / Zürich 1980, S. 95–100; neuerdings Spörl, Achim: Die Säkularisaion der Benediktinerabtei Banz. Zulassungarbeit für das Lehramt an Gymnasien (masch.). Bamberg 1999.

[184]      Zur Wahl ausführlich Berbig, Hans Joachim: Das Kaiserliche Hochstift Bamberg und das Heilige Römische Reich vom Westfälischen Frieden bis zur Säkularisation. Wiesbaden 1976 (Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit 5), S. 78–99.

[185]      Lang, Karl Heinrich von: Memoiren. Skizzen aus meinem Leben und Wirken, meinen Reisen und meiner Zeit. Braunschweig 1842, 1. Teil, S. 265.

[186]      Elstner, Albert: Die von Künsberg. Die Geschichte eines fränkischen Adelsgeschlechtes. In: Heimat und Geschichte. Kronach 1972, S. 247–334, hier S. 299.

[187]      Renner, Michael: Regierung, Wirtschaft und Finanzen des Kaiserlichen Hochstifts Bamberg im Urteil der bayerischen Verwaltung 1803. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 26 (1966), S. 307–349, hier S. 311f.

[188]      Berbig (wie Anm. 184), S. 99–107.

[189]      Renner (wie Anm. 187), S. 313.

[190]      Meyer, Heinrich: Die Lichtenfelser Amtmänner. In: Heimat-Blätter. Land am Obermain in Vergangenheit und Gegenwart 1961, Nr. 7.

[191]      Renner (wie Anm. 187), S. 328.

[192]      Elstner (wie Anm. 186), S. 299.

[193]      Die Gebäude standen auf dem Grundstück Schillerstraße 11. Breuer, Tilmann / Gutbier, Reinhard: Die Kunstdenkmäler von Oberfranken. Stadt Bamberg. Innere Inselstadt. München 1990 (Die Kunstdenkmäler von Bayern, Regierungsbezirk Oberfranken, VII, 5), S. 1149.

[194]      Hartung, Fritz: Hardenberg und die preußische Verwaltung in Ansbach-Bayreuth von 1792 bis 1806. Tübingen 1906, S. 38f.; zu Hardenbergs Politik gegenüber dem Adel auch Hofmann, Adelige Herrschaft (wie Anm. 157), S. 163–209.

[195]      Zum folgenden StAB, B 67/XVII, Nr. 225; ausgewertet bei Dippold, Günter: Zwischen adliger Herrschaft und Landeshoheit. Herrschaftsgeschichte von Unterleiterbach. In: Absch / Dippold (wie Anm. 19), S. 9–32, hier S. 21–24.

[196]      Zum Kriegsverlauf vgl. Kestler, Stefan: Franzoseneinfall und „Franzosenzeit“ in Franken 1796–1815. Ein Überblick unter Berücksichtigung des Hochstifts Bamberg. Bayreuth 1996 (Heimatbeilage zum Amtlichen Schulanzeiger des Regierungsbezirks Oberfranken 236), bes. S. 3–12.

[197]      Zur aufklärerischen Adelskritik vgl. Möller, Horst: Aufklärung und Adel. In: Fehrenbach, Elisabeth (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland 1770–1848. München 1994 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 31), S. 1–9, hier S. 4–9.

[198]      Dazu ausführlich Hofmann, Adelige Herrschaft (wie Anm. 157), bes. S. 211–256.

[199]      Weiß, Hildegard: Lichtenfels-Staffelstein. München 1959 (Historischer Atlas von Bayern, Teil Franken, I, 7), S. 87, 101.

[200]      Dem Kastenamt Lichtenfels, dem Amt Burgkunstadt (vormals der Vogtei am Brandt) und der fürstbischöflichen Kanzlei. Ebd., S. 86.

[201]      Renner (wie Anm. 187), S. 313.

[202]      Roppelt, Johann Baptist: Historisch-topographische Beschreibung des Kaiserlichen Hochstifts und Fürstenthums Bamberg. Nürnberg 1801.

[203]      Bundschuh, Johann Kaspar: Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Franken. 6 Bde. Ulm 1799–1804.

[204]      Pfeufer, Benignus: Beyträge zu Bambergs Topographischen und Statistischen so wohl älteren als neueren Geschichte. Bamberg 1791.

[205]      Schneidawind, Franz Adolph: Versuch einer statistischen Beschreibung des Kaiserlichen Hochstifts Bamberg. Bamberg 1797.

[206]      Renner (wie Anm. 187), S. 310.

[207]      Zit. nach Salewski, Michael: ,Neujahr 1900‘. Die Säkularwende in zeitgenössischer Sicht. In: Archiv für Kulturgeschichte 53 (1971), S. 335–381, hier S. 373.