BEILAGEN

 

Titelblatt

Inhalt

Vorwort

Kap. 1

Kap. 2

Kap 3.1

Kap 3.2

Kap 3.3

Kap. 4

Quellen

3.2  Wendephase 1942-1943

Analog zur militärischen Wende verliert auch die Propaganda die Initiative. Wie die folgenden beiden Beispiele zeigen,  vollzieht sich mit den militärischen Entwicklungen ein Wandel in der Berichterstattung des Lichtenfelser Tagblatt  in bezug auf Darstellungsweise, Aktualität und Wahrheitsgehalt der Informationen.

3.2.1 Berichterstattung von der  Schlacht um Stalingrad [69]

Als großer militärischer Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges gilt allgemein die deutsche Niederlage bei Stalingrad im Winter 1942/43. Nachdem es den Deutschen 1941 nicht gelungen war, die Sowjetunion entscheidend zu schlagen, sollte dies 1942 mit der Eroberung der sowjetischen Industriezentren am Don und der Erdölgebiete im Kaukasus gelingen.[70] Beeinflusst durch den  schnellen Vormarsch im Sommer 1942, erteilte Hitler die Weisung, die beiden Hauptziele gleichzeitig  statt nacheinander  zu erobern, ein Vorhaben, das zu einer Zweiteilung der militärischen Kräfte führte.[71] Nachdem  es der deutschen 6. Armee  im  September und Oktober  unter verlustreichen Kämpfen gelungen war, Stalingrad zu einem Großteil einzunehmen,  setzte am 19.11.42 eine  Gegenoffensive der Roten Armee ein, die innerhalb von drei Tagen die 6. Armee vollständig einkesseln konnte.[72] Hitler verbot einen Ausbruch und rief zum Durchhalten auf. Ein Entsatzversuch sowie die Versorgung der eingeschlossenen Verbände durch die Luft  scheiterten.[73]  Am 31.1.43 mussten die Deutschen nach verlustreichen Kämpfen kapitulieren.[74]  Von nun an waren sie im Osten,  aber auch an den  anderen Kriegsschauplätzen,  in der Defensive.[75]

Die Darstellung dieser Vorgänge durch das Lichtenfelser Tagblatt  kann grob in vier verschiedene Phasen eingeteilt werden, in denen sich jeweils analog Berichterstattung und militärische Lage in charakteristischer Weise ändern und an denen sich die Wende in der Propaganda widerspiegelt.

Die erste Phase im Sommer 1942 bietet unter dem Eindruck des schnellen Vorgehens der Sommeroffensive im Lichtenfelser Tagblatt ein optimistisches Bild, da die Propaganda ständig neue Erfolge und gegnerische Verluste  zu vermelden hat.[76]

In der zweiten Phase, der verlustreichen Einnahme der Stadt ab September 1942, berichtet das Tagblatt  verhältnismäßig wahrheitsgetreu über die Lage. Dem Leser wird durch Meldungen über „erbittertes Ringen“ (LT 7.9.42) oder über „harte Häuserkämpfe“ (LT 18.9.42) der Eindruck vermittelt, dass die Situation, anders als bei der  Offensive vom Sommer,  ernst ist.  Dies lässt sich  auch daran erkennen, dass sich die Berichterstattung  über mehrere Wochen hinweg mit der Lage der Kämpfe bei Stalingrad beschäftigt, ohne die Einnahme der Stadt zu melden. In dieser Phase stilisierten die Nationalsozialisten unter dem Eindruck der vorangegangenen Erfolge Stalingrad zu einem Prestigeobjekt, was später ihre  militärische  Handlungsfreiheit einschränkte.[77]  Als Musterbeispiel dafür  gilt die Rede Hitlers zum Jahrestag des Hitlerputsches vom 8.11.1942 - im Lichtenfelser Tagblatt  abgedruckt am 9.11.42 - in der es unter anderem heißt:

Ich wollte zur Wolga kommen, und zwar an einer ganz bestimmten Stelle, an einer bestimmten Stadt. Zufälligerweise trägt sie den Namen von Stalin selber. Also denken Sie nur nicht, dass ich aus diesen Gründen dorthin  marschiert bin - sie könnte auch ganz anders heißen-, sondern weil dort ein ganz wichtiger Punkt ist (...). Den wollte ich nehmen und - wissen Sie -  wir sind bescheiden,  wir haben ihn nämlich!  [78] 

Im Gegensatz  zur vorhergehenden Phase hält sich die Propaganda in der dritten Phase nicht mehr an die Realität. Am Tag nach der Einkesselung der 6. Armee am 23.11.42, berichtet die Zeitung von „im Raum südlich von Stalingrad [anhaltenden] erbitterten Abwehrkämpfe[n]“. Am 25.6.42 meldet das Blatt, dass „südwestlich Stalingrad und im großen Don-Bogen (...) die Sowjets unter rücksichtslosen Einsatz von Menschen und Material in die Verteidigungsfront (...) eingebrochen [sind]“. Wichtig ist aber, dass diese Meldungen aus dem Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) stammen, der in Auszügen meist auf der zweiten Seite - oben - abgedruckt ist, und nur durch aufmerksames Lesen entdeckt wird. Am 26.11.42[79]  schreibt das Blatt im Artikel mit dem Titel „Harte Abwehrkämpfe im Großen [sic!] Donbogen“ erstmals von „Verteidigungsinseln“ und „Igelstellungen“. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass das genannte Gebiet  westlich von Stalingrad gelegen ist. Diese  Meldung deutet an, dass die Stadt von den Sowjets eingeschlossen sein könnte. Der Begriff ‘eingekesselt’ oder ‘eingeschlossen’ wird aber nicht verwendet. Der  Auszug aus dem OKW-Bericht  enthält in den folgenden Ausgaben im  Monat Dezember 1942 sowie Anfang Januar 1943 meist sogar überhaupt keine Meldungen über die Situation in Stalingrad . Die Berichterstattung in dieser Zeit beschäftigt sich  unter anderem mit einer  unbedeutenden Offensive weiter im Norden der Ostfront. Dieser Abschnitt zeigt deutlich, wie die Berichterstattung - mit zunehmenden Misserfolgen - versucht, die Situation zu verschweigen,  und von  wichtigen Ereignissen ablenkt. 

 Die  vierte Phase der Berichterstattung  über die  Schlacht um Stalingrad  beginnt am 18.1.43, als die Stadt wieder auf die erste Seite der  Ausgaben des Lichtenfelser Tagblattes rückt, als „gewaltige[s] Vorfeld der deutschen Front“ bezeichnet und damit die Lage der deutschen Truppen in der  Stadt  offengelegt wird. Am 20.1.43 berichtet die Zeitung über „unvorstellbare Leistungen deutscher Soldaten“  in Stalingrad und am folgenden Tag verkündet sie: „Vorbild bleibt der Kämpfer von Stalingrad“. Auch in  den nächsten Ausgaben bezeichnet sie den Kampf in der Stadt als „heldenmütig“ (23.1.43), lobt das „Unsagbare Heldentum [der] Soldaten“ sowie das „leuchtende heroische Beispiel“ (25.1.43) und verkündet:  „Hell strahlt der Ruhm der heldenhaften Kämpfer von Stalingrad“ (26.1.43). Am 4.2. meldet sie unter der Schlagzeile: „Hohelied der Tapferkeit und Pflichterfüllung - Siege ertragen kann jeder Schwächling, Schicksalsschläge aushalten, das können nur die Starken“ die Kapitulation der letzten deutschen  Einheiten . Das Ziel der Propaganda in der vierten Phase ist klar erkennbar. Sie versucht die unausweichliche  Niederlage so gut wie möglich vor der Bevölkerung auszunützen. Dazu gab Goebbels die Anweisung, den Untergang der  6. Armee  „ psychologisch zur Kräftigung unseres Volkes“ [80] zu nutzen. Die Propaganda zeichnet deshalb  in den letzten Tagen der Berichterstattung das nationalsozialistische Idealbild eines Soldaten, von dem es Heldentum, Pflichterfüllung und Gehorsam, sowie Selbstaufopferung und Kampf bis zum Ende erwartet.

Die Niederlage bei Stalingrad markierte aber, trotz dieser intensiven Bemühungen der Presse, einen Wendepunkt in der Stimmungslage  der Bevölkerung. Nach dem angekündigten Sieg (Phase zwei) sorgte die Niederlage nun für einen Vertrauensverlust  in die Führung.[81] Die vier Phasen sind dabei charakteristisch für den gesamten Krieg. Bei Erfolgen sind die Zeitungsberichte relativ wahrheitsgetreu. Bei ungünstigen militärischen  Entwicklungen und Niederlagen gibt die Presse die Sachverhalte falsch, verzögert oder überhaupt  nicht wieder. Gegen Kriegsende erhält die Propaganda  dann wie in Phase vier  einen fanatisch- ideologischen  Charakter.

 

3.2.2  Wandel der Darstellungsweise des U-Bootkrieges  [82]

In der seit Kriegsbeginn stattfindenden ‘Schlacht im Atlantik‘ versuchte die deutsche Kriegsmarine, Englands transatlantische Nachschubverbindungen so zu stören, dass eine Fortsetzung des Krieges für England unmöglich sein würde.[83]  Zwar überstiegen die englischen  Verluste an  Schiffen  die der  Neubauten, doch eine konsequente und wirkungsvolle Seeblockade scheiterte an der zu kleinen Zahl an U-Booten, der Hauptwaffe der Deutschen in der Atlantikschlacht.[84]  Als nach einem wechselhaften Verlauf  der Schlacht und dem Kriegseintritt der USA   im Sommer 1942 und dann im  Frühjahr 1943  erstmals die als Mindestmaß betrachtete Anzahl an U-Booten zur Verfügung stand und  Versenkungsziffern  erreicht wurden, die einen deutschen Erfolg in Aussicht stellten,[85] trat im Mai 1943 die Wende im U-Bootkrieg ein. Sie  war vor allem einer Reihe von alliierten Maßnahmen zu verdanken, die jetzt mit einem Mal  Wirkung zeigten. Zum einen gelang es durch neue Ortungsgeräte und eine lückenlose Luftüberwachung  die alliierten Geleitzüge fast  vollständig zu schützen.[86] Zum anderen war es durch ein großes Schiffbauprogramm der USA möglich, die Verluste mehr als auszugleichen, so dass  der Tonnagekrieg unmöglich von den U-Booten gewonnen werden konnte. Hinzu kam noch die entscheidende Tatsache, dass es den Engländern gelungen war, den deutschen Funkverkehr zu entschlüsseln.  Damit  konnte man  die Geleitzüge um die ‘U-Boot Rudel’ herumlenken oder diese gezielt aufspüren  und  vernichten.[87] Aufgrund der hohen Verluste wurde die ‘Schlacht im Atlantik’ im Mai 1943 von den Deutschen abgebrochen.[88] Dies stellte auf dem westeuropäischen Kriegsschauplatz eine Wende dar, da der Nachschub und davon abhängende Operationen (Landung  in der Normandie )  nicht mehr behindert werden konnten . 

Würde man nun die deutsche Niederlage im Atlantik und ihre Darstellung  im Lichtenfelser Tagblatt genau untersuchen, so wäre dies sehr schwierig, da sich die Entwicklungen über längere Zeiträume hinziehen und nicht, wie beim Landkrieg, chronologisch  ineinander übergehen.  Interessant ist aber, wie die  Propaganda insgesamt  versucht, Erfolge hervorzuheben und andererseits - nach der Wende-  die Misserfolge zu kaschieren und damit die Aufmerksamkeit und Meinungsbildung  der Leser zu beeinflussen und zu lenken.

Im März 1943 versenkten die Achsenmächte 693 000 BRT an alliiertem Schiffsraum. Davon hatten die U-Boote einen  Anteil von 627 000 BRT und überschritten damit die geforderte Mindestzahl von 600000 BRT.[89] Die Erfolge erfährt der Leser durch die lokale Presse, wie folgende Beispiele zeigen, ausführlich: „36 Schiffe mit 201000 BRT versenkt“ (LT 12.3.43), „Wieder 75000 BRT versenkt“ (LT13.3.43), „Ueber 100000 Tonnen wertvollsten Kriegsmaterial haben Nordafrika nicht erreicht“ (LT 25.3.43).  Am 2.4.43 schreibt die Zeitung: „Noch hat der U-Boot-Kampf gegen die Feindtonnage den Höhepunkt noch nicht erreicht“. Damit bekommt der  Leser den gewollten Gesamteindruck, die deutsche Kriegführung sei ‘erfolgreich’.

In den folgenden Monaten, als die ‘Erfolge’ ausbleiben (April: 235 000 BRT im Nordatlantik,  Mai: 164 000 BRT im Nordatlantik)[90] verschwinden die Meldungen über den U-Bootkrieg fast vollständig. Am 26.6.43 heißt es dann in einem Kommentar „U-Boot Dämmerung?“: „Natürlich ertönen (...) Stimmen,  die eine Ausschaltung der U- Boot- Gefahr glauben machen. Neben dem scheinbaren Rückgang der Versenkungsziffern, die ja nur im Vergleich zu den außergewöhnlich  hohen Ergebnissen des Frühjahrs als klein angesehen werden können".  Der Kommentar  macht deutlich, wie die  Propaganda die Erfolglosigkeit der deutschen Marine verschleiern will. Während sie im März noch verkündete, man habe „den Höhepunkt noch nicht erreicht“, relativiert dieser Kommentar diese  Erfolge der Deutschen als „außergewöhnlich“. Der U-Bootkrieg  spielt im restlichen Kriegsverlauf sowohl militärisch wie in der Zeitung so gut wie keine Rolle. Lediglich der kleingedruckte OKW-Bericht meldet am Anfang jeden Monats die Versenkungen des Vormonats. Damit wird die ungünstige  Lage dem Leser zwar nicht verschwiegen, seine Aufmerksamkeit aber dennoch durch graphische Mittel  und die Häufigkeit der Meldungen stark beeinflusst, so dass die Misserfolge  ihm möglichst  nicht bewusst   werden.

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[69] Siehe dazu  Ausgaben Lichtenfelser Tagblatt 26.8.1942- 4.2.1943, Nummern 199-29

[70] Hans-Adolf Jacobsen ( Hrsg.), Der Zweite Weltkrieg. Grundzüge der Politik und Strategie in Dokumenten, S.204f.

[71] Lothar Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg, S. 188

[72] Ebd., S. 190f.

[73] Ebd.,. S. 192f.

[74] Ebd., S. 194

[75] Ebd., S. 181-200

[76] Siehe dazu  exemplarisch Ausgaben Lichtenfelser Tagblatt vom 14.7.42 Nr. 162; 16.7.42 Nr. 164; 17.7.42 Nr. 165

[77] Hans- Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt Deutschland 1939-1945, S. 670

[78] Siehe dazu Lichtenfelser Tagblatt Ausgabe vom 10.11.42  Nr. 264

[79] Eigentlich 1924  (Druckfehler!)

[80] Hans- Ulrich Thamer, Verführung und Gewalt Deutschland 1939-1945, S. 674

[81] Ebd., S,. 674 f.

[82] Siehe dazu Lichtenfelser Tagblatt Ausgaben vom 1.3.43-26.6.43, Nummern 50-147

[83] Johannes Hempel (Hrsg.), Der Nationalsozialismus Band III, S. 67

[84] Lothar Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg, S. 85 f.f.

[85] Ebd., S. 194 f.

[86] Dan van der Vat, Schlachtfeld Atlantik  Der Deutsch britische Seekrieg 1939-1945, München, Wilhelm Heyne Verlag, 1990,  S. 519

[87] Dan van der Vat, Schlachtfeld Atlantik  Der Deutsch britische Seekrieg 1939-1945, S.  306-313

[88] Lothar Gruchmann, Der Zweite Weltkrieg, S. 196

[89] Ebd., S. 195

[90] Dan van der Vat, Schlachtfeld Atlantik  Der deutsch britische Seekrieg 1939-1945, S. 306 und 313