Titel

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Kapitel 1:
Begriff

Kapitel 2:
NS-Staat

Kapitel 3:
Katholisch

Kapitel 4:
Evangelisch

Kapitel 5:
SPD

Kapitel 6:
Einzelne

Schluss

Quellen u.
Literatur

4. WIDERSTAND IN DER EVANGELISCHEN KIRCHE

4.1. Das Verhalten der evangelischen Kirche im Reich

Auf dem Hintergrund der betont kirchenfreundlichen Regierungserklärung Hitlers vom 23. März 1933 und der nationalkonservativen, teilweise auch antisemitischen Einstellung nicht weniger Kirchenvorstände (69) verwundert es nicht, dass die Kirchenleitungen die „Machtergreifung" mehrheitlich mit Sympathie betrachteten. Bald bildete sich die „Glaubensbewegung deutscher Christen", die sich explizit als „innerkirchlicher Teil der nationalsozialistischen Bewegung" (70) sah. Auch als deutlich wurde, dass eine nationalsozialistische Einparteiendiktatur zu entstehen begann, und als Regimegegner verhaftet wurden, verhielt sich die evangelische Kirche ruhig (71).

Ein erstes Aufbegehren gegen die nationalsozialistischen Maßnahmen erfolgte, als es bei der Gründung einer zentralen Reichskirche zu Auseinandersetzungen um die Besetzung des Amtes des Reichsbischofes kam und Hitler unter massivem Druck schließlich seinen Kandidaten, den „Bevollmächtigten für die Angelegenheiten der evangelischen Kirche" Militärpfarrer Ludwig Müller, durchsetzte. Die in der neuen Kirchenverfassung für den 23. Juli angesetzten Kirchenwahlen brachten nicht zuletzt wegen der intensiven Propagandaarbeit der NSDAP einen hohen Sieg der „Deutschen Christen", die sich anschickten, die Schlüsselpositionen in der Reichskirche an sich zu reißen, und sich zudem immer mehr der NS-Ideologie annäherten. Als Reaktion darauf sammelten sich in vielen Gemeinden „bekenntnistreue" Pfarrer und Gemeindemitglieder.

Am 21. September 1933 rief Pastor Martin Niemöller alle bekenntnistreuen Pfarrer auf, in den „Pfarrernotbund" einzutreten, der als Keimzelle für die spätere „Bekennende Kirche" zu betrachten ist. Wandte sich der „Pfarrernotbund" anfangs noch vor allem gegen staatliche Übergriffe auf innerkirchliche Belange (72), so trat die „Bekennende Kirche" spätestens nach der preußischen Bekenntnissynode 1935 entschieden gegen Menschenrechtsverletzungen durch das Regime ein (73). Trotz vieler Repressalien, ja Gefahr für Leib und Leben verstärkte sich der Widerstand der „Bekennenden Kirche", je mehr der nationalsozialistische Terror zunahm. Die Kirche unternahm aber nie den Schritt zum politischen Widerstand. „Der Widerstand blieb ein Widerstand mit dem Wort". Die Absicht der Kirche war es auch nicht, das Regime zu stürzen, sondern ihr ging es um die „Erhaltung der eigenen Position und um die Eindämmung des Unrechts" (74).

 

4.2. Widerstand in Lichtenfels

Ein Auszug aus dem Ergebnisbericht von Kirchenvisitationen des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenrats Bayreuth 1934/35 in den Gemeinden des Dekanatsbezirks Michelau lautet:

„Unsere kirchlich gebundenen Gemeinden standen und stehen fest im Kirchenkampf, und es hat sich viel mehr inneres Leben und Bekenntnisfreudigkeit in ihnen gezeigt, als wir Pfarrer ihnen selbst zugetraut hätten." (75)

Diese Aussage verdeutlicht, dass auch die evangelische Kirche im Raum Lichtenfels Spannungen mit der Regierung ausgesetzt war. Dies wurde durch die Ereignisse 1935 offenkundig.

Die Politik der Gleichschaltung der Kirchen mit der Reichskirche machte auch vor der bayerischen Landeskirche, die sich schon 1934 gegen die Gewaltmaßnahmen der Regierung wandte und auf ihren bekenntnistreuen Charakter Wert legte, nicht halt. Trotz des scharfen Protests von Landesbischof Meiser gegen die Eingliederungspolitik des Reichsbischofs Müller wurde die bayerische Landeskirche am 11. Oktober 1934 gewaltsam als letzte in die Reichskirche eingegliedert. Der bekenntnistreue Meiser wurde noch am gleichen Tag für abgesetzt erklärt und durch den deutschchristlichen Pfarrer Sommerer ersetzt.

In weiten Kreisen wurde gegen die Absetzung Meisers protestiert. Um diesen Protest kundzutun, wurden in manchen Kirchen Bayerns Bußgottesdienste abgehalten. Die Lichtenfelser Gemeinde schloss sich diesem Vorhaben mit Begeisterung an, da auch aus ihrer Sicht keine nationalsozialistischen Deutschen Christen an der Spitze der Landeskirche erwünscht waren. So wurde am 14. Oktober in der Lichtenfelser Kirche unter Pfarrer Georg Friedrich ein Bußgottesdienst gehalten. In der Pfarrbeschreibung der Pfarrei heißt es:

„Zum Zeichen der Trauer wurden die Kerzen ausgelöscht, und der Altar blieb ohne Schmuck und war in Trauergewänder gehüllt mit Kanzel und Taufstein" (76).

Im Anschluss an den Gottesdienst wurde der Kirchenvorstand in die Sakristei gerufen. In der dann folgenden Sitzung wurde allen Kirchenvorstehern eine Resolution zur Unterzeichnung vorgelegt, in der man dem abgesetzten Meiser solidarisch die Treue und das Vertrauen aussprach und den eingesetzten Sommerer nicht anerkannte. Jedoch verweigerten vier Mitglieder, Hauptlehrer B., der als „fanatischer Vorsteher des Nationalsozialismus" (77) bezeichnet wurde, Oberregierungsinspektor R., Steuerinspektor St. und Sparkassenbeamter S. die Unterschrift, da sie diese Resolution nicht mit ihrer nationalsozialistischen Gesinnung vereinbaren konnten. Nach dieser Weigerung herrschte große Unruhe. In der Pfarrbeschreibung heißt es, dass sich „die Gemeinde [...] über diese vier Ungetreuen [...J empör(" zeigte. Die Auseinandersetzungen zwischen der bekenntnistreuen Gemeinde und ihren nationalsozialistisch gesinnten Mitgliedern kamen zu ihrem Höhepunkt, nachdem Meiser am 1. November 1934 sein Amt zurückerhielt. Gestärkt von dem Sieg der Bekenntnistreuen wurde an die nationalsozialistischen Mitglieder B., St. und S.-Herr R. hatte bereits seinen Austritt erklärt - vom Kirchenvorstand „die Frage gerichtet, wie sie sich nunmehr zu der Kirche stellten, an deren Spitze Dr. Meiser wieder stehe." Aus dem sich daraus entwickelnden Briefwechsel wird deutlich, dass sich diese Personen auch von seiften Pfarrer Friedrichs heftigen Vorwürfen und Anklagen ausgesetzt sahen und es ihnen nahegelegt wurde, ihr Amt niederzulegen. In einem Rechtfertigungsschreiben von Hauptlehrer B. an Pfarrer Friedrich vom 6. 1. 1935 heißt es:

„Notwendig erscheint mir dabei die Feststellung, f...j dass ich den Boden des positiven evangelischen Christentums so wenig verlassen habe, wie ich irgend jemals das Geringste mit den von Ihnen angeführten 'Deutschen Christen' zu tun hatte. f...) Auf ihren Vorwurf. ich hätte die Kinder 'instruiert', so dass sie ihnen entgegenschrieen: 'Unser Landesbischof heißt Sommerer, nicht Meiser!' brauche ich nicht einzugehen."

Trotz der Zurückweisung der Vorwürfe traten die Herren von ihrem Amt zurück und wurden am 20. Januar 1935 von Pfarrer Friedrich durch vier vom Kirchenvorstand neu gewählte Männer in einem feierlichen Gottesdienst ersetzt. Aus der Betrachtung der örtlichen Presse geht hervor, dass diese Auseinandersetzungen kirchenintern blieben. Außer einem kurzen Hinweis auf einen Gottesdienst, in der neue Kirchenvorstandsmitglieder eingeführt wurden, wurde in den zeitgenössischen Zeitungen nichts berichtet.

Während der Kirchenvorstand seinen Protest in der unterzeichneten Resolution zum Ausdruck brachte, wurden auch die übrigen Gemeindemitglieder aufgerufen, sich in die extra aufgelegten Listen für Meiser und die Bekennende Kirche einzutragen. Sehr viele folgten dem Aufruf, obwohl in der Pfarrbeschreibung angedeutet wurde, dass„ Versuche von einzelnen Seiten gemacht werden", die Gläubigen „davon abzuhalten", bevor die Gemeinde schließlich am 20. Januar 1935 als Glied der Bekennenden Kirche konstituiert wurde.

Noch im gleichen Jahr schloss sich die evangelische Gemeinde dem Protest des Pfarrervereins an, der sich gegen Äußerungen wandte, die Minister Göring auf dem Nesselberg gegen die evangelische Kirche und ihre Priester gemacht hatte.

Im Jahr 1937, nur ein Jahr, bevor Hitler seine größte Popularität erreicht hatte, wagte es der evangelische Pfarrer Wehland Albert aus Schwürbitz, bei einer Beerdigung, an der HJ, SA und politische Leiter teilnahmen, in einer Grabrede das Regime verbal anzugreifen. In der Nacht vom 21. auf den 23. März 1937 ließ sich der Kameradschaftsführer der HJ, Horst B. aus Marktzeuln, in der Nähe des Bahnhofs Hochstadt von einem Zug überfahren. Aus mehreren Einträgen in sein Notizbuch, das man in seiner Manteltasche fand, ging hervor, dass sich B. das Leben genommen hatte, da ihm von Seiten des Gefolgschaftsführers Beitragsgeldveruntreuung vorgeworfen worden war. Er schrieb unter anderem:

„Liebe Eltern! Verzeiht, was ich Euch angetan habe. (...] Ich habe mir nie etwas zu schulden kommen lasen. (...) An allem ist nur der Gefolgschaftsführer schuld, er hat mich ins Verderben getrieben. Ich habe nie Beitragsgelder veruntreut."

Die Beerdigung von B. wurde von Pfarrer Wehland abgehalten, der „über drei Selbstmordfälle in seiner Gemeinde innerhalb vier Wochen sehr erregt war" (78). Dabei hielt er vor den angetretenen nationalsozialistischen Funktionsträgern eine gewagte Rede:

„Ich kann keine Leichenrede halten, denn Dir, dem Selbstmörder habe ich nichts zu sagen. Aber den anderen, die hier gekommen sind, denen muss ich sagen, die ihr hier seid, um den Selbstmord zu verherrlichen, denen sei gesagt, Mord ist Mord und ein Selbstmord ist auch ein Mord. [... ] Wer durch Mord endet, ist ein Mörder und alle die, die das Alte Testament ablehnen, denen sei gesagt, dass damals schon das Gesetz verkündet worden ist: Du sollst nicht töten! Dies gilt auch für Euch (dabei deutete er auf die angetretenen Formationen), die Ihr den wahren Gottglauben ablehnt und statt dessen eine unvorstellbare Gottesgestalt schaffen wollt, die weder an Kirche noch Religion gebunden sei." (79)

Diese Aussagen von Wehland riefen große Empörung hervor, ermahnte er doch die Nationalsozialisten, nicht zu töten, und prangerte er doch den Gotteskult um Hitler an. In einem Brief der NSDAP-Ortsgruppe Marktzeuln sprach man von einem „Skandal, wie er noch nie dagewesen war" (80). Auch in den Regierungsberichten, die die Regierung Oberfranken an das bayerische Staatsministerium und das Reichsinnenministerium schrieb, wurde auf diesen Vorfall eingehend hingewiesen (81). Pfarrer Wehland wurde schließlich vom Sondergericht Bamberg angeklagt. Seine Anklageschrift führte aus, er sei

„hinreichend verdächtig, öffentlich die NSDAP und ihre Gliederung böswillig und mit Überlegung verächtlich gemacht und zugleich hetzerische Äußerungen über die von leitenden Persönlichkeiten der NSDAP geschaffenen Einrichtungen gemacht zu haben, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben." (82)

Trotz der scharfen Anklage wurde das Verfahren gegen Pfarrer Wehland eingestellt.

Diese Vorkommnisse zeigen, dass sich auch im Raum Lichtenfels Widerspruch auf evangelischer Seite regte. Sicherlich kann man nicht von einem aktiven politischen Widerstand sprechen. Doch unter den Umständen der Zeit, in der jede noch so geringe Abweichung vom Regime und seiner Ideologie zu schweren Strafen führen konnte, erforderte ein Verhalten wie das des Pfarrers Wehland ein nicht geringes Maß an Zivilcourage.