Titel

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Kapitel 1:
Begriff

Kapitel 2:
NS-Staat

Kapitel 3:
Katholisch

Kapitel 4:
Evangelisch

Kapitel 5:
SPD

Kapitel 6:
Einzelne

Schluss

Quellen u.
Literatur

2. DIE TOTALE DIKTATUR

2.1. Die Errichtung des NS-Staates

„Wenige Monate nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler [am 30. Januar 1933] hatte sich in Deutschland fast alles verändert. Die NSDAP, gerade noch eine rechtsextreme Organisation mit dem offen propagierten Ziel, die Verfassung zu brechen und Staat und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu verändern, war jetzt die alleinige Staatspartei." (12)

Zielbewusst und ohne jede Rücksicht baute Hitler seine Macht aus; Handlungsspielräume des einzelnen wurden zunehmend eingeengt. Die „Gleichschaltung" sollte die Errichtung der totalen Diktatur einleiten und ermöglichen.

Der Brand des Reichstagsgebäudes am 27. Februar 1933 wurde zum Anlass genommen, die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat" zu erlassen, mit der der Grundrechtskatalog der Weimarer Republik außer Kraft gesetzt wurde. Ein entscheidender Schritt zur Ausschaltung der politischen Gegner war getan. Am 23. März löste sich Hitler mit dem „Ermächtigungsgesetz" „von allen Bindungen an die Verfassung und von der parlamentarischen Kontrolle." (13) Der Reichstag wurde überflüssig, da nun legislative und exekutive Kompetenz in der Hitlerregierung vereinigt waren. Es folgte die Gleichschaltung der Länder, die mit dem abschließenden „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" ganz ihrer bisherigen Rechte enthoben wurden. Die Länderparlamente wurden ebenso wie der Reichsrat aufgelöst, die Beamtenschaft durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April gleichgeschaltet. Das Gesetz vom 14. Juli „gegen die Neubildung von Parteien" schloss den Prozess der Zerschlagung der Parteien ab. Die Alleinherrschaft der NSDAP in ihrem Einheitsstaat war gesichert.

In der Gesellschaft wurde ebenfalls ein Gleichschaltungsprozess in Gang gesetzt. Zuerst stellten die Nationalsozialisten die Massenmedien unter ihre Kontrolle. „Die Presse wurde fortan gelenkt und überwacht und über tägliche Pressekonferenzen in der Berichterstattung auf die Parteilinie festgelegt." (14) Durch das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" vom 20. Januar 1934 änderte das Regime auch die bisherigen „arbeitsrechtlichen Verhältnisse" (15) und kontrollierte so die Berufsorganisationen. Die Bereiche Familie und Freizeit wurden durch ein „ideologisch orientiertes Organisationsnetz" (16) ebenfalls diesem Prozess unterzogen.

Die Jugend band das Regime durch die Organisationen „Deutsches Jungvolk", „Hitlerjugend" und „Bund Deutscher Mädchen" an die Ideologie des Staates, die Erwachsenen durch den „Reichsarbeitsdienst" und die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude". Alle Bereiche des Lebens wurden durchdrungen, kontrolliert und mit der Ideologie des Nationalsozialismus infiltriert.

Terror gegen Regimegegner und eine in dieser Form und in diesem Umfang in Deutschland noch nicht gekannte Massenpropaganda bildeten die Hauptmethoden zur Stabilisierung der totalitären Diktatur (17). Wenn die Unterdrückung potentieller Gegner nach den massenhaften offenen Übergriffen der ersten Monate der Diktatur immer unauffälliger erfolgte, so bedeutete dies keineswegs ein Nachlassen des Terrors. Er wurde vielmehr zunehmend institutionalisiert und perfektioniert. Rechtliche Grundlagen dafür waren bereits in der Anfangsphase der Diktatur gelegt worden: Infolge der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" (Reichstags-Brandverordnung) vom 28. z. 1933 wurden Tätigkeitsbereiche und Kompetenzen der politischen Polizei entscheidend erweitert. Zentrales Mittel zur Unterdrückung wurde die „Schutzhaft", die die Gestapo ohne Kontrolle durch die Justiz zeitlich unbegrenzt aus eigener Machtvollkommenheit gegen jeden verhängen konnte, der ihr politisch unzuverlässig schien. Rechtsmittel dagegen gab es nicht. Betroffene wurden meist in Konzentrationslager eingewiesen, ohne zu wissen, ob oder wann sie jemals wieder in Freiheit gelangen würden.

Die Gestapo war neben der SS wohl der wichtigste Teil dieser „Maschinerie des Terrors" (18), es wirkten hier aber „[...] eine Vielzahl von Organisationen und Institutionen des nationalsozialistischen Staates zusammen." (19) Die Justiz etwa wurde zunehmend von den Nationalsozialisten unterwandert. Neben die regulären Gerichte traten politische Sondergerichte, denen die Aburteilung von Regimegegnern oblag; traurige Berühmtheit erlangte hier der „Volksgerichtshof". Zumindest Beispiele für die Tätigkeit der unteren Instanzen werden im nachfolgenden Kapitel aufgezeigt werden.

Widerstand gegen das Regime ist um so höher einzuschätzen, je mehr man sich vor Augen hält, welches Risiko Menschen im Widerstand auf sich nahmen.

 

2.2. Anmerkungen zum Nationalsozialismus in Lichtenfels

Sehr früh schon, seit November 1922 (20), hatte es in Lichtenfels eine kleine, aber sehr aktive Ortsgruppe der NSDAP gegeben, deren Mitglieder während des NSDAP-Verbots 1923-1925 sich mehrheitlich der „Brigade Ehrhardt" anschlossen (21); auch eine Tarnorganisation der NSDAP, die DAP, besaß 1924 einen Ableger in Lichtenfels (22). Nach der Aufhebung des Verbots 1925 gründete sich umgehend die NSDAP in Lichtenfels und Staffelstein neu (23) und entfaltete erhebliche Aktivität (24).

Dennoch zeigen die Wahlergebnisse der Reichstagswahlen, dass die Anhängerschaft der Nationalsozialisten hier nicht überproportional groß war. In Lichtenfels, einer Stadt mit 6752 Einwohnern, von denen 5119 katholischen Glaubens waren (25), behauptete vor 1933 die katholische Partei BVP unangefochten die Stimmenmehrheit. Am 14. September 1930 schlug die Bayerische Volkspartei die NSDAP beispielsweise mit mehr als 500 Stimmen. Drittstärkste Partei waren die Sozialdemokraten (26). Auch im Bezirk Lichtenfels zeigte sich die starke Position der BVP.

Ein Vergleich der Reichstagswahlen vom 6. November 1932 mit den Ergebnissen der Wahlen vom 5. März 1933 erweist aber eindeutig das starke Anwachsen der NSDAP, die von 7480 Stimmen des Gesamtbezirks im Jahr 1932 auf 9402 Stimmen zunahm, somit also fast 26% an neuen Wählern dazugewann und die BVP bei den Wahlen 1933 erstmals mit 725 Stimmen schlug (27). In Lichtenfels Stadt allerdings erreichte die NSDAP 1933 zwar nicht die Mehrheit, lag aber nur drei Stimmen hinter der BVP. Dieser Anstieg der Stimmen für die NSDAP kann aber nur sehr bedingt als Ausdruck wachsender Zustimmung zu Hitler gewertet werden, da die Wahlen unter massivem Druck der neuen Machthaber erfolgten.

Aus dem Bezirk Lichtenfels stachen einige Dörfer durch ihre Wahlergebnisse hervor. In Schney war die Tradition der Sozialdemokratischen Partei tief verwurzelt. So verwundert es nicht, dass die SPD in allen Wahlen eindeutig die stärkste Partei blieb. Sogar in der Wahl am 5. März 1933, an der die Sozialdemokratische Partei schon nicht mehr regulär teilnehmen konnte (28), erreichte die SPD in Schney 513, die NSDAP nur 408 Stimmen. In Mistelfeld hingegen konnten die Nationalsozialisten viele Wähler auf sich vereinigen. Schon 1932 hatte dort die NSDAP die meisten Stimmen. Bei der Wahl am 5. März 1933 erreichte sie mit 50,7% sogar die absolute Mehrheit. Schwürbitz war, ebenso wie Burgkunstadt, ein Ort mit hohen Stimmenanteilen der BVP. Sie schlug auch in der Wahl vom 5. März 1933 die NSDAP mit 60, in Burgkunstadt sogar mit 73 Stimmen. Die größten Erfolge konnte die BVP gegen die NSDAP in Altenkunstadt erreichen. In der Wahl vom 5. März 1933 erzielte dort die BVP 410 Stimmen, die NSDAP hingegen nur 296 (29). Zum Vergleich: Im Reich hatte die NSDAP mit den Deutschnationalen zusammen eine knappe Mehrheit gewonnen.

Die Bevölkerung des Lichtenfelser Raumes zeigte also insgesamt keine überdurchschnittliche Affinität zum Nationalsozialismus; die starke Stellung der katholischen Kirche bereitete den Nationalsozialisten eher Probleme bei der Durchsetzung ihrer Ideologie.

Dennoch waren Lichtenfels und sein Umland in der NS-Zeit keine „Insel der Seligen". Terror und politische Unterdrückung gab es hier genauso wie überall in Deutschland, wenngleich dies für manche Lichtenfelser vielleicht nur bei öffentlichen Exzessen wie der Reichspogromnacht 1938 offenkundig wurde. Allein, dass diese reichsweit organisierte Terroraktion gegen jüdische Mitbürger in Lichtenfels mit besonderer Brutalität durchgeführt wurde, mag verdeutlichen, dass die NS-Diktatur in der Provinz kein anderes Gesicht zeigte als in Metropolen.