Diese Beurteilung stammt von Prof. Dr. Walter S. G. Kohn, der zur damaligen Zeit in Lichtenfels lebte, wegen seiner jüdischen Abstammung aber 1938 nach Großbritannien emigrieren musste. Sie charakterisiert die Problematik des Begriffs „Widerstand", der meist lediglich mit denjenigen Handlungen in Verbindung gebracht wird, die darauf abzielten, Hitler und sein Regime zu stürzen. Doch nicht nur solche Aktionen können als Widerstand betrachtet werden.
In einem totalitären System, das die volle Identifikation des einzelnen mit der herrschenden Ideologie fordert und somit „alle Sphären des gesellschaftlichen und geistigen Lebens organisatorisch und ideologisch zu durchdringen sucht" (3), muss bereits geistige oder gar manifeste Non-Konformität als eine Form des Widerstands gewertet werden, da unter derartigen Bedingungen „jede eigenständige Regung bereits zu einem staatsfeindlichen Akt" (4) wird. Die Härte, mit der das Hitlerregime schon gegen kleinste Vergehen vorging, zeigt, wie die NS-Behörden diese Delikte einschätzten. Bereits eine antinazistische Äußerung, die in angetrunkenem Zustand im Wirtshaus gemacht wurde, zog, wie der Fall Günther N. aus Burgkunstadt zeigt, ein großes Verfahren nach sich, das meist auch zu einer Verurteilung des Angeklagten führte. Dieser an sich unbescholtene Arbeiter hatte in angetrunkenem Zustand öffentlich über das Regime geschimpft und wurde deshalb zu vier Monaten Haft verurteilt (5). Als Legitimation und Begründung der Strafe diente der ausführenden Instanz, dem Sondergericht Bamberg, das 1934 abgefasste „Heimtückegesetz", in welchem öffentliche und nichtöffentliche Äußerungen, die gegen das Regime gerichtet waren, als strafbar festgelegt wurden.
Jeder zivile Ungehorsam, jede kritische Äußerung, jeder erkennbare Vorbehalt gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie wurden als Schwächung des „totalen Staates" (6) empfunden und als Angriff auf ihn interpretiert. So wollte die Kirche eigentlich keinen direkten Widerstand gegen das Regime ausüben, aber sie „blieb ein Faktor der Entfremdung von [seinem] [d.h. dem nationalsozialistischen] Geist." (7)
„Widerstand, der nicht zum Sturz des Regimes zu führen geeignet war, ist ethisch nicht geringer zu werten als der, der zu Attentaten und Umsturzversuchen geführt hat" (8), resümiert der Historiker Peter Hoffmann. Eine wirkliche qualitative Einschätzung der Widerstandstätigkeiten kann zudem letztlich nicht vollzogen werden, da die Bedingungen und der Druck, unter dem die Menschen zur damaligen Zeit standen, sowie die Gefahr, der sie sich bewusst aussetzten, für uns heute nur noch schwer fassbar sind.
Die Stufung des Widerstandsbegriffs, die von Klaus Gotto, Hans Günther Hockerts und Konrad Repgen vorgeschlagen wurde, erscheint daher recht treffend. Danach wäre die „punktuelle Unzufriedenheit" die unterste Stufe des Widerstandes, eine Unzufriedenheit mit einzelnen Taten und Handlungen des Regimes (9). Diese Festlegung ist sehr breit gefächert und wird im „Einzelfall näher zu umgrenzen" sein. Eindeutiger festlegbar ist die zweite Stufe des Widerstandes, die Hehl mit den Begriffen „Resistenz, Nicht-Anpassung Selbstbewahrung" umschreibt. Diese Widerstandsform entspringt vor allem der Haltung der einzelnen Person und ist nicht unbedingt mit einer Tat verbunden, im Charakter also „defensiv". „Widerstand [..] begann bei denjenigen, die es verstanden, sich trotz ständiger, massiver Bearbeitung durch Parteipropaganda in Presse und Rundfunk, am Arbeitsplatz, sogar im Privatleben der unmittelbaren Beeinflussung zu entziehen und der Massenpsychose nicht zu erliegen", urteilt auch der Historiker H. M. Müller (10).
Wenn diese ablehnende Grundhaltung nicht nur passive Resistenz blieb, sondern sich in spontanen oder auch überlegten, öffentlichen oder privaten Bekundungen äußerte, sprechen die Historiker
Gotto, Hockerts und Repgen von der dritten Stufe des Widerstands. Die höchste Stufe ist erreicht, wenn diese Handlungen auf den Umsturz des Regimes abzielten, also eine umfassende Aufkündigung des Gehorsams gegenüber dem Regime stattgefunden hat. Dies bezeichnen die Autoren des Stufenmodells „aktiven" oder „Widerstand im engeren Sinne." (11)
Diese Trennung des Widerstandsbegriffs erscheint im Hinblick auf die nachfolgenden Untersuchungen des Widerstandes im Raum Lichtenfels als sehr nützlich, denn, wie Walter S. G. Kohn schon äußerte, kann in Lichtenfels nicht von einem aktivem Widerstand, der auf den Umsturz des Regimes bedacht war, gesprochen werden. Doch gerade die Recherchen an den kleineren Vorkommnissen im Dritten Reich zeigen, dass sich auch an der Basis passiver Widerstand und Nicht-Anpassung regten.