Die
Fördermaßnahmen auf der Ebene der EG, des Bundes und des Landes halfen
zweifellos, den negativen Entwicklungsstand zu mildern, im einzelnen
stellte sich die Situation für die Industrie der Gemeinde Michelau jedoch
wie folgt dar: War für die Erwerbsstruktur des Ortes die
Korbwarenindustrie bis Anfang der 60er Jahre bestimmend, so wurde der Rückgang
in den darauffolgenden Jahren um so auffälliger. Ursachen waren
verschiedene Wirtschaftsprozesse: Erstens ist in der Branche kaum eine
Automatisierung möglich. Viele Arbeiten sind nach wie vor manuell zu
verrichten. Das Heimgewerbe spielt somit eine unverändert große Rolle,
wird aber statistisch nicht erfasst. Trotzdem wurden immer mehr Arbeitsgänge
industriell erledigt, so dass auch in Michelau die Zahl der
Handwerksbetriebe von 113 im Jahr 1968 auf 100 im Jahr 1977 sank. (31)
Viele vorher firmenintern abgewickelten Arbeitsgänge wurden von
spezialisierten Zulieferfirmen übernommen. Zweitens verschärfte sich der
Konkurrenzkampf um verbleibende Absatzmärkte. Die Einführung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft 1965 bedeutete für die Korbindustrie eine
Belastung. Aus dem gesamten EWG-Raum drängten damals Korbwaren im Wert
von DM 2.076.000 auf den deutschen Markt. (32) Die wichtigste Ursache für
die rückläufige Korbindustrie blieb jedoch der Billigimport aus den
Ostblockländern und den asiatischen Staaten. Sowohl die östlichen
Anbieter als auch die asiatischen Verkäufer gingen von der reinen
Materiallieferung der 50er Jahre zum Angebot von billigen Fertigwaren über,
so dass die oberfränkische Korbindustrie zwar ihre Umsätze steigern
konnte, aber zum Großteil nur durch den Handel mit Fertigwaren.
Erstaunlicherweise blieben manche Firmenkontakte zwischen Ost- und
Westdeutschland, besonders in der Textilbranche, auch während der Teilung
bestehen.
Die
Michelauer Korbfirmen spezialisierten sich zum Teil auf die Herstellung
von Halbfabrikaten für den Weiterverkauf oder auf hochwertige
kunstgewerbliche Flechtarbeiten. Andere Firmen verlagerten ihr Angebot auf
Korb- oder Polstermöbel (vgl. Abb. 15). Insgesamt spielt die Korbwaren-,
Kinderwagen- und Möbelindustrie in Michelau heute noch eine große Rolle.
Die
Diversifizierung in der Industrie ist bis heute so weit fortgeschritten,
dass 1992 52% der Erwerbstätigen in anderen Industriezweigen beschäftigt
waren. Dazu zählten Betriebe der Kunststoffproduktion, Textilbranche und
Metallverarbeitung (vgl. Abb. 16, S. 28).
Die
Gesamtzahl der Beschäftigten, die sozialversicherungspflichtig waren, veränderte
sich von 1970 bis 1992 nach Auskunft der Industrie- und Handelskammer
Oberfranken wie folgt:

Seit
Ende der 70er Jahre zeigte sich die Konkurrenzfähigkeit der modernen
Industriebetriebe. Fast die Hälfte der Arbeitnehmer arbeiten in Großbetrieben
mit über 100 Beschäftigten. In Gegensatz dazu spielte die
Landwirtschaft, seit jeher durch kleinbäuerlichen Besitz gekennzeichnet,
nur eine untergeordnete Rolle (vgl. Tab 3).
Tab.
3: Beschäftigungsentwicklung in Michelau 1989 -1992
(Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, Vergleichsmonat Juni)
|
1989 |
1990 |
1991 |
1992 |
Landwirtschaft |
15 |
16 |
10 |
12 |
Produzierendes Gewerbe |
3728 |
3960 |
4394 |
4349 |
Handel und Verkehr |
218 |
237 |
244 |
231 |
Dienstleistungen |
218 |
255 |
255 |
266 |
Eine
wesentliche Entscheidung der Gemeinde, die dieser gewerblichen Ausrichtung
Rechnung trug, war die Aufstellung eines ersten Bebauungsplanes für die
Ausweisung von Industriegelände im Jahr 1969, hier Nord IV. (33) In den
folgenden Jahren wurden immer großzügiger Wohn- und Gewerbegebiete in
den erstellten Flächennutzungsplänen berücksichtigt. Die Wohngebiete
konzentrieren sich auf den Osten und Westen der Gemeinde, die
Industriegebiete dominieren den Norden, der durch das flache Gelände und
die Hochwasserfreiheit eine relativ preisgünstige Erschließung erlaubte.
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Durch
die Großzügigkeit in der Planung erhöhte sich die Ausdehnung der Gebäude-
und Freiflächen ganz erheblich, nämlich von 155 ha (1980) auf 287 ha im
Jahr 1988, so dass Michelau im Osten und Westen an seine Gemarkungsgrenzen
stößt. Nach Süden war keine Ausdehnung möglich, denn der
Hochwasserdamm zur Eingrenzung des Main‑Überflutungsbereichs schränkt
auch die Gemarkung der Ortschaft ein. Obwohl sich die Industriebetriebe
von Michelau günstig entwickelten, litt die Gemeinde bis weit in die 70er
Jahre hinein unter Überalterung und Abwanderung. Gesamtwirtschaftliche
Hochkonjunkturphasen bewirkten mit einer Zeitverzögerung von zwei bis fünf
Jahren verstärkte Zuwanderungen, die den Wanderungssaldo dann insgesamt
positiv gestalteten. Allerdings waren diese Zeiträume immer kürzer als
die Hochkonjunkturphasen, so z.B. Ende der 70er Jahre und zwischen 1983
und 1985.
Die
Kommunalpolitik der letzten Jahre unterstützte den wirtschaftlichen
Aufschwung und die positive Bevölkerungsbilanz dadurch, dass sie
preiswertes Bauland für Privatpersonen und günstiges Industriegelände
zur Verfügung stellte. Dies führte zu einem bisher ungekannten Bauboom.
Die Entwicklungsmöglichkeiten der Gemeinde zeigen sich jedoch erst ab
1989, als plötzlich die Grenzlandlage wegfiel und die Zahl der Zuzüge
sprunghaft anstieg (vgl. Abb. 18).
Mit
der erfolgreichen Entwicklung zum wichtigen Industriestandort geht heute
aber auch eine zunehmende Verkehrsbelastung einher. Zum einen ist dies
durch die umfangreichen Fuhrparks der Betriebe selbst und durch die hohe
Anzahl von Zulieferfahrzeugen bedingt - täglich über 500 (34) -, zum
anderen durch die hohe Zahl der Einpendler - täglich über 3200 Berufstätige.
Von den 4976 Mitarbeitern der Betriebe kommen nur 34% aus der Gemeinde
einschließlich den Ortsteilen, 41% dagegen aus dem restlichen Landkreis
Lichtenfels und 9% aus den Landkreisen Coburg, Kronach, Bamberg und
Kulmbach. Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten pendeln auch
693 Berufstätige aus den neuen Bundesländern nach Michelau, das sind 14
% aller Beschäftigten. (35) Der Regionalverkehr wird darüber hinaus seit
jüngster Zeit vom überregionalen Nord-Süd-Verkehr überlagert, der
mindestens 50% des Verkehrsaufkommens ausmacht. Im alten Ortskern von
Michelau wurden 1992 täglich 12.500 Fahrzeuge gezählt. (36)
Trotz
dieser zunehmenden Belastung wird noch heute der Hauptverkehrsstrom über
die Mainbrücken zum Bahnhof und über die zweigleisige Eisenbahnlinie
Lichtenfels - Ludwigstadt zur B173 geleitet. Die Brücke dort ist so
schmal, dass sich zwei Lastkraftwagen nicht begegnen können. Und auch die
Trassenführung der 8173, von Main, Eisenbahn und dem Krappenberg
eingeengt, erlaubt keine Großzügigkeit beim Straßenbau, obwohl Michelau
diesen Hügel ja schon im Zusammenhang mit der Errichtung eines
Hochwasserdamms abtragen wollte. Seit Ende der 70er Jahre plant der
Landkreis die Lösung der Verkehrsprobleme durch eine Ostumgehung
Michelaus mit Brücken über den Fluss und Eisenbahnüberführungen zur
B173. Das Industrierevier liegt jedoch im Nordwesten und somit
verkehrstechnisch gesehen ungünstig. Im Kreuzfeuer der Kritik wurde daher
das Planfestellungsverfahren 1991 zunächst gestoppt. Derzeit diskutieren
Landkreis und Gemeinde eine neue Variante der Ostumgehung.
Trotz
der überregionalen Bedeutung und führenden Stellung im gesamten
Landkreis ist Michelau nur über Kreisstraßen, Straßen vorletzter
Ordnung, mit anderen zentralen Orten verbunden. Hier wird sichtbar, wie
wenig die Verkehrsplanung im Grenzland auf wichtige industrielle
Entwicklungsschwerpunkte reagierte. Die Region wird heute mehr als
erwartet durch die Öffnung der Grenzen von der Verkehrsflut überrollt.
Ähnlich überholt kann wohl die Einstufung Michelaus als Kleinzentrum,
das ist die unterste Stufe der zentralen Orte, angesehen werden, nachdem
es alle Ansprüche eines Unterzentrums erfüllt, wie qualifizierte
Grundversorgung, Veranstaltungen der Erwachsenenbildung
(Volkshochschulkurse), öffentliche Bücherei, Zahnarzt, eine gewisse
Anzahl an Beschäftigten im sekundären und tertiären Sektor und andere
mehr. Aber auch der Ortskern wird durch Sanierungsmaßnahmen aufgewertet.
In der Mitte des Ortes ist ein kleines Geschäftszentrum entstanden, das
dem Gesicht der Gemeinde mehr Attraktivität verleiht.
So
jäh, wie die politischen Ereignisse nach 1945 die Gemeinde Michelau, wie
auch andere grenznahe Ortschaften, in eine Randlage drängten, so überraschend
kam die Grenzöffnung 1989, die den sonderbaren und belastenden Lebens-
und Arbeitsbedingungen ein Ende bereiteten. Die zentrale geographische
Lage der Gemeinde in Europa ist noch gewöhnungsbedürftig. Aber schon
heute haben Michelauer Firmen wieder wirtschaftliche Verbindungen mit
Polen und der Tschechischen Republik geknüpft. Die Zukunft wird zeigen,
ob die verlockende Nähe zu Billiglohnländern dem hiesigen Arbeitsmarkt
eher schaden wird oder ob die neuen Absatzmärkte eine wirtschaftliche
Chance sein werden.